Lili Pohlmann

Lili Pohlmann – geborene Stern – ist eine Überlebende aus dem Getto in Lemberg (heute Lwiw, Ukraine). Sie wurde im März 1933 in Lemberg geboren und spricht Deutsch.

Lili Pohlmann hat im April 2007 an einer Bildungsreise des Bildungswerks Stanisław Hantz e.V. (Kassel) nach Lemberg teilgenommen.

Robert Kuwalek – Mitarbeiter der Gedenkstätte Majdanek – hatte 2005 Lili Pohlmann auf einer Konferenz in Lemberg kennen gelernt. Das Thema der Konferenz war das umstrittene Verhalten des ehemaligen Metropoliten Szepticki gewesen. Dieser hatte zwar einerseits anfänglich die deutsche Besetzung begrüßt, andererseits aber auch über 150 jüdische Menschen gerettet, unter ihnen Lili und ihre Mutter, indem er ihnen ein Versteck im Kloster organisierte.

Lili Pohlmann, die 1944 bei der Befreiung Lembergs und Ostgaliziens 11 Jahre alt war, kehrte im Jahr 2005 erstmals nach Lemberg zurück, weil es ihr am Herzen lag, ein Wort für den Metropoliten einzulegen, der schließlich auch ihr Leben gerettet hatte, dafür aber bis heute keine Anerkennung bekommen hat.

Aufgewachsen in der frühen Kindheit ist Lili in Krakau. Häufig zu Ostern besuchte sie mit ihren Eltern Lemberg. 1939 kamen sie mit dem letzten Zug von Krakau nach Lemberg. Er war vollgestopft mit Menschen, aber sie wußten nicht, dass es der letzte war. Denn kurz darauf wurde der Bahnhof bombardiert. Der Vater war in Krakau geblieben und wollte ihre Siebensachen nachschicken. Sie kam mit ihrem 3 Jahre jüngeren Bruder und ihrer Mutter bei den Großeltern in Lemberg unter.

Lemberg wurde dann von den Sowjets okkupiert und 1941 besetzten dann die Nationalsozialisten diese Stadt. Die Nazis ermordeten auch hier als Erstes die politische und jüdische Intelligenz. Das war nur durch lokale Unterstützung und Verrat möglich. Auch der bekannte Rabbiner – Dr. Levin – wurde in dem berüchtigten Gefängnis zu Lemberg getötet.

Lili Pohlmann wohnte nun in einer 2-Zimmer-Wohnung. In der großen Märzaktion 1942 wurden sie in einer Schule zusammengefercht. 15 000 jüdisch-gläubige Menschen wurden verschleppt. Sie konnte mit ihrem Bruder abhauen. Auch ihre Eltern konnten durch Hilfe von Nachbarn fliehen. 1939 lebten in Lemberg noch 200 000 Juden, nach Einzug der Nazis 1941 waren es dann nur noch 135 000 – davon haben nur wenige überlebt. In der Augustaktion wurden auch Kinder abtrabsportiert. So wurde auch am 15.August 1942 ihr Vater und ihr Bruder weggebracht. Der Vater – der als Schreiner im Sonderdienst arbeitete – dachte, dass Frauen viel eher gefährdet seien, als Männer.

Der Hausmeister hatte sie denunziert und keiner wusste, wo sie geblieben sind. Bei der Augustaktion 1942 wurden 42 000 Menschen verschleppt und ermordet. Bei dem gemeinsamen Besuch des Hinterhofes, wo sie gelebt hatten, sagte sie: „Es scheint nichts verändert …,“ – „Und dort“, so fährt sie fort, „hatte der ukrainische Hausmeister gewohnt. Der war schon immer scharf auf unser Radio gewesen.“ Und weiter: „Als ich mit meiner Mutter nach der Aktion aus unserem Versteck zurückkam, fanden wir unsere Wohnung verplombt vor. Der ukrainische Hausmeister, von Beruf Polizist, stand davor. Er trug den Anzug meines Vaters, seine Armbanduhr und aus unserem Radio erklang laut Musik.“ 14 Tage blieben sie und ihre Mutter von hilfsbereiten Nachbarn in der vor dem Hofeingang liegenden Apotheke versteckt. Sie warteten auf ein Lebenszeichen ihres Vaters und Bruders. Aber vergebens.

„Sicher glaubt ihr mir nicht“, unterbrach sich Lili plötzlich. Zu unwahrscheinlich klinge es doch, wie sie sie immer wieder knapp dem Tod entronnen war.

Die Lili und ihre Mutter ziehen dann zu ihren Großeltern in das Ghetto Lembergs, das die Deutschen für die zum Tode verurteilten Menschen eingerichtet hatten. Sie wohnten dort mit 4 Familien auf einem Zimmer. Lilis Mutter arbeitete außerhalb des Ghettos im Wohnungsamt für die deutsche Zivilverwaltung und nebenbei noch als Näherin. Im November 1942 kam es zu einer weiteren „Aktion“ der Deutschen. Die Mutter war an diesem Tage in der Stadt geblieben, aber Lili wusste, dass auch ihre Arbeitsberechtigung sie bei der Rückkehr am Morgen nicht vor der Deportation retten würde. So schlich sie sich in der Nacht aus dem schwer bewachten Ghetto, um sie zu warnen. Nur im Schlafanzug bekleidet kletterte sie über den Bahndamm, Hunde bemerkten sie, Schüsse fielen. Sie ließ sich neben den Gleisen in den meterhohen Schnee fallen. Und wieder einer dieser wunderbaren Zufälle, die deutschen Schergen begaben sich nicht auf die Suche nach ihr. Ob sie dachten, dass sie sie bereits getötet hatten? Nach einer Weile ließ Lili sich den Bahndamm herunterrollen und machte sich auf in die Stadt. In ihrem Schlafanzug wirkte die 9-Jährige sicher wie jemand aus einer anderen Welt. Zweifellos verstanden alle, auf die sie traf, wer sie war und woher sie kam. Jeder und jede hätte sie ausliefern können, als sie sich frühmorgens in die Ecke einer Straßenbahn hockte. Niemand jedoch sagte auch nur ein Wort, bis sie schließlich die Arbeitsstelle ihrer Mutter im Wohnungsamt erreichte.

Dort traf sie dann auf die Frau Wieth (Erika, geb. 1908). Ihre Mutter fragte dann Frau Wieth, ob sie Lili nicht bei sich aufnehmen könnte. Eine schier unmögliche Bitte zu dieser Zeit. Wer wollte schon ein Kind bei sich aufnehmen, das der Vernichtung preisgegeben war? Und dann noch sich selbst geährden? Aber, es kam einem Wunder gleich, sie stimmte zu und Lili konnte sich bis zur Auslagerung der deutschen Verwaltung in ihrer Wohnung verstecken. Mit diesem Ereignis war Lilis Odyssee jedoch nicht zu Ende. Keinen Laut durfte sie von sich geben in der Wohnung, in der doch eigentlich niemand sein durfte. Jeder Gang auf die Straße war ein Spießrutenlauf. Traf sie auf jemanden, der sie erkannte? Wurde sie nach Papieren gefragt, die sie nicht hatte? Jeder falsche Schritt, jede zufällige Begegnung konnte dem Tod gleichkommen. Einmal, als sie Einkaufen ging, lud sie der Polizeichef Katzmann ein, mit seinen Kindern in dem Garten zu spielen. Lili fand aber eine Ausrede und konnte so den Konflikt umschiffen.

Ihre Mutter ging aber zu den Großeltern zurück ins Getto. Als das Getto im Mai 1943 abbrannte – der Großvater wurde zwischenzeitlich deportiert – stürzte sich die Großmutter aus dem 3. Stock in den Tod. Sie wollte, dass Ihre Tochter in ihrem Überlebenskampf keine Rücksicht mehr auf sie nehmen musste. Auch sie tauchte bei Frau Wieth unter. Diese war eine sehr exzentrische Frau, hat sich gesund ernährt und aß täglich eine Knolle Knoblauch. Die Leute hatten sie deshalb gemieden. Frau Wieth hatte auch einen deutschen Major als Freund, der auch zu Besuch kam. Das war dann immer eine sehr knifflige Situation in der Wohnung.

Das Kennenlernen von Lili und das ihr bevorstehende Schicksal beeindruckte Frau Wieth offensichtlich so, dass sie in den folgenden Monaten noch zwei weitere jüdische Menschen bei sich aufnahm – ein Apothekerehepaar. Und so lebten vier Menschen versteckt in einem Haus in dem Viertel, in dem sonst nur hohe deutsche Funktionäre und auch der ukrainische Polizeipräsident wohnten.

Dann rückte die Front näher und die deutsche Zivilverwaltung wurde ausgelagert. Wohin sollten sie nun gehen, welche Möglichkeit zum Verstecken gab es, an wen konnte man sich wenden? In diesem Moment kam der Metropolit Szepticki ins Spiel. Das Ehepaar, mit dem sie sich bei der Frau Wieth aufhielten, hatte gehört, dass er jüdische Menschen versteckte. Und tatsächlich, Szepticki sorgte dafür, dass Lili und ihre Mutter bis zum Kriegsende in einem christlichen Waisenhaus unterkommen konnte. Lili, als Waise unter dem Namen Lidka Ostrowska, ihre Mutter als taubstumme Näherin. Dadurch hat Szepticki über 150 Menschenleben gerettet.

Lili Pohlmann hat diesen schicksalsträchtigen Lebensweg überlebt. Nach dem Krieg ging sie mit ihrer Mutter nach England. Dort heiratete sie später den deutschen Schauspieler Erik Pohlmann, der während des Krieges auch Sprecher beim BBC war und dessen Stimme sie daher schon gehört hatte.

Frau Wieth hatten sie nach langer Suche in einem russischen Lager in der Tschechoslowakei ausfindig gemacht. Auch sie ging nach England und wollte nie wieder nach Deutschland und hat auch nie wieder Deutsch gesprochen. Frau Wieth’s Mutter lebte in Deutschland und schrieb Briefe, sie aber antwortete immer nur in Englisch. Sie starb 1982 in England.

Bis zu ihrem Tod kümmerten sich Lili und ihre Mutter um die Frau Wieth, die beide gerettet hatte. Ebenso wie die Schwester Oberin wurde sie 1965 in Yad Vashem mit der Medaille der Gerechten der Völker ausgezeichnet.

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