Spiritual Resistance in the Vilna Ghetto

Neuauflage des seit Jahren vergriffenen Buches “Spiritual Resistance in the Vilna Ghetto”, in dem die Autorin Rachel Kostanian die Vielfältigkeit und Stärke des moralischen, kulturellen und bewaffneten Widerstands im Wilnaer Ghetto schildert.

Das Buch “Spiritual Resistance in the Vilna Ghetto” von Rachel Kostanian dokumentiert die einzigartige Vielfalt kultureller und geistiger Aktivitäten im Wilnaer Ghetto (1941-43). Es zeigt auf, wie die Menschen im Ghetto auf verschiedenste Art und Weise und unter den schweren Bedingungen deutscher Kontrolle versuchten, ihre Identität aufrecht zu erhalten. Neben Widerstandsaktionen entfalteten sie soziale, medizinische, kulturelle und religiöse Aktivitäten. Im Vorwort zum Buch wird der jüdische Künstler Alexander Bogen zitiert: „Die Kreativität im Ghetto war eine Form geistigen Selbstschutzes, einer Waffe – einer geistigen Waffe – gegen die Nazi-Unterdrücker. Wenn du kreativ bist, wird dein Geist nicht gebrochen werden können.“

Rachel Kostanian, ehemalige Direktorin des Holocaust Museums in Vilnius und selbst Überlebende des Holocausts, benennt die Fragen, mit denen sie sich im Buch beschäftigt:

  • Was bedeutet “geistiger Widerstand”?
  • Hatte der geistige Widerstand positiven oder negativen Einfluss auf die Menschen im Ghetto?
  • War er eine Droge, eine Illusion?
  • Hat die Ghettoverwaltung kulturelle Initiativen entwickelt und unterstützt, um die Menschen ruhig zu stellen und zu beherrschen und dabei den bewaffneten Widerstand verhindert, um sich selbst zu retten?
  • War es möglich Menschlichkeit in unmenschlichen Umständen zu erhalten?

Nachdem das Bildungswerk Stanisław Hantz die Finanzierung und Realisierung einer zweiten Auflage des Buches übernommen hatte, konnten im Rahmen einer Veranstaltung am 11. Mai 2014 in Berlin Rachel Kostanian die Bücher übergeben werden.

Das Buch Spiritual Resistance in the Vilna Ghetto (in Englisch) ist beim Bildungswerk Stanisław Hantz für 15 € (plus Portogebühr) erhältlich.

Rachel Kostanian bekommt im Mai 2014 in Berlin das Buch überreicht
Rachel Kostanian bekommt im Mai 2014 in Berlin das Buch überreicht

Zum Hintergrund, das Buch neu aufzulegen

Seit 2010 organisiert das Bildungswerk Stanisław Hantz e.V. Bildungsreisen zu den Stätten jüdischen Lebens in der Litauischen Hauptstadt Vilnius. Den thematischen Schwerpunkt bildet hierbei das Schicksal der jüdischen Bevölkerung, die Ghettoisierung, Verschleppung und Ermordung.

Als im Sommer 1941 die deutschen Wehrmachtstruppen nach Litauen vorstießen, begann das Ende der jüdischen Geschichte des Landes. Die deutsche Besatzung begann am 23. Juni 1941 und endete am 13. Juli 1944. In Wilna (heute Vilnius) wurden in der Altstadt bereits kurz nach der Besetzung durch die deutsche Wehrmacht zwei Ghettos errichtet. Mit der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung in die Ghettos begannen systematische Selektionen und Massenmorde im Wald von Paneriai (etwa 10 km westlich der Altstadt). Das kleinere Ghetto wurde bereits im Oktober 1941 aufgelöst, das zweite Ghetto bestand bis zum September 1943. Nur wenigen gelang es, sich vor der Liquidierung im Jahr 1943 zu verstecken oder zu den PartisanInnen in den Wald zu fliehen. Die verbliebenen Juden und Jüdinnen wurden in Konzentrationslager deportiert und ermordet. Von den etwa 70.000 Juden und Jüdinnen, die 1941 in Wilna vor 1941 gelebt hatten, überlebten etwa 2000 die deutsche Besatzung.

Kurz vor der Liquidierung des Ghettos hatte der Stab der jüdischen Widerstandsbewegung den Entschluss gefasst, so viele Kämpfer und Kämpferinnen wie möglich in die Wälder zu schicken. Dort schlossen die Überlebenden sich bestehenden Partisanengruppen an und es entstand die jüdische Gruppe “Nekome” – Rache. Mitglieder von Nekome befreiten gemeinsam mit der Roten Armee die Stadt Wilna im Mai 1944.

Unmittelbar nach dem Einzug in die Stadt begannen die jüdischen Männer und Frauen der Partisanengruppen in dem verlassenen Ghetto nach Spuren zu suchen und diese gesammelt in dem Gebäude des ehemaligen Ghettogefängnisses auszustellen: Ein jüdisches Museum entstand. Das Museum bestand nicht lange. Bereits 1949 wurde seine Auflösung beschlossen. Erst mit den politischen Umwälzungen in Osteuropa am Ende der 1980er Jahre wurde es möglich, wieder ein Museum zu öffnen, dass das Leben der Wilnaer Juden und Jüdinnen, ihre Vernichtung und ihren Widerstand dokumentiert – das Vilna Gaon Jewish State Museum.[2] In dem so genannten Grünen Haus, einer Abteilung des Museums, wird seit der Eröffnung mit Jahr 1991 der Holocaust in Litauen dargestellt. Dieser Teil des Museums wurde hauptsächlich von Holocaust-Überlebenden aufgebaut. Eine von ihnen war Rachel Kostanian, deren Buch das Bildungswerk im Jahr 2014 neu auflegte. Das Ziel der Überlebenden bei der Errichtung des Museums war es, ihre Erlebnisse, das was sie durchlitten haben, an junge Menschen weiterzugeben. Dabei schreckten sie nicht davor zurück, die Kollaboration der litauischen Bevölkerung beim Holocaust zu thematisieren. Dass sich Tausende Litauer am Massenmord der Nazis beteiligten, ist bis heute ein Tabu. Diese Tatsache passt nicht zum Bild der Opfernation, die unter den Besatzungen und stalinistischen Deportationen gelitten hat. In der Konsequenz werben litauische Politiker in internationalen Gremien dafür, die Verbrechen von Nationalsozialismus und Kommunismus für gleichrangig zu erklären. In der offiziellen litauischen Geschichtsschreibung wird eine „Doppelte-Genozid-Theorie“ zugrundegelegt, die die nationalsozialistischen Verbrechen, den Völkermord an den Juden, gleichsetzt mit sowjetischen Verbrechen am litauischen Volk, das während der Besatzung seiner Identität beraubt wurde.

Das Grüne Haus steht im Fokus der Debatten um die Erinnerung und das Gedenken an die Shoah in Litauen. Wie an keinem anderen Ort in Litauen werden die verschiedenen Seiten des jüdischen Lebens und Leidens unter deutscher Okkupation offen dokumentiert. Besucher lernen, wie die deutsche Vernichtungspolitik umgesetzt wurde und die Kollaboration der litauischen Bevölkerung wird offen thematisiert. Ein wichtiger Teil ist auch die Darstellung des Lebens unter der Besatzung, des alltäglichen Kampfs um die eigenen Würde, das intellektuelle Weiterbestehen des ehemaligen „Jerusalems des Ostens“, wie Wilna einmal genannt wurde.

Bei unseren Besuchen im Grünen Haus haben wir die Leiterin Rachel Kostanian kennen gelernt. Sie hat unsere Gruppen offen und herzlich empfangen und uns über die historische wie aktuelle Lage in Litauen berichtet. Das Grüne Haus mit ihr als Leitung steht als Garant für eine offene Auseinandersetzung mit den Geschehnissen während des Zweiten Weltkriegs. Während unserer Gespräche berichtete Rachel Kostanian über ihr eigenes Engagement für die Erinnerungsarbeit in Vilnius. Als Gerettete des Holocausts ist es ihr wichtigstes Anliegen das Wissen um die Zeit der Nationalsozialistischen Besetzung weiterzugeben.

Das Buch Spiritual Resistance in the Vilna Getto von Rachel Kostanian ist der einzige Überblick über das jüdische Leben und Wirken im Wilnaer Ghetto. In mühevoller Kleinarbeit hat die Autorin unzählige Texte, Bilder und Fotos zusammengetragen und in diesem Buch dokumentiert. Wie wir bei unseren Besuchen erfahren mussten, ist das vom Jüdischen Staatsmuseum in Vilnius im Jahr 2003 herausgegebene Buch bereits seit mehreren Jahren vergriffen. Damit ist ein wichtige Dokumentation jüdischen Lebens aus der Perspektive einer Überlebenden verloren gegangen. Unter anderem aus einem persönlichen Kontakt mit Rachel Kostanian ist die Idee entstanden, eine erneute Publikation dieses wichtigen Beitrags an die Erinnerung an das jüdische Ghetto in Wilna in die Wege zu leiten. Wir sehen es zusätzlich als unsere Aufgabe und Verantwortung, die Zeit der nationalsozialistischen Besatzung nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Zu wenig bekannt ist der alltägliche Kampf um die menschliche Würde, der so reiche und vielfältige Resultate wie im Wilnaer Ghetto gefunden hat. Wir denken deshalb, eine Wiederherausgabe dieses wichtigen Buches ist ein wichtiger Schritt, die Erinnerung an diese schwere Zeit wach zu halten.


[1] Aus einem Interview mit Alexander Bogen in New York City, Mai 1975. Band 1, Nr. 522. Zitiert nach: Joseph Rudavsky, To live without hope, to die with dignity. Spiritual resistance in the ghettos and camps, New Jersey / Jerusalem 1997, S. 104.

[2] http://www.jmuseum.lt/index.aspx?Element=ViewArticle&TopicID=164, Zugriff Dezember 2013

Nach oben scrollen