Übersetzung eines Artikels über die Bildungsreise des Bildungswerks nach Lublin im Jahr 2005. Erschienen in der polnischen Zeitung “Gazeta Wyborcza” vom 12.09.2005.
Nachkommen ermordeter Juden und ihrer Henker bemühen sich gemeinsam, die Vergangenheit zu verstehen. Gestern besuchten sie Lublin. Sie waren auf dem Gelände des ehemaligen Gettos und beim Umschlagplatz, von dem aus die Transporte in die Vernichtungslager fuhren.
Sonntag, 14 Uhr. Auf den Schlossplatz fährt ein Bus, aus dem Deutsche, Holländer und Polen steigen. Sie gehen in die Altstadt, in der sich zur Zeit des Krieges das jüdische Getto befand. Familien derjenigen, die von nationalsozialistischen Händen ermordet wurden, gehen neben den Nachfahren ihrer Henker. Nach einem über einstündigen Spaziergang fahren sie den Weg ab, auf dem die Deutschen die Juden in den Tod geführt hatten, über die Kalinowszyzna zur Rampe auf dem Umschlagplatz.
Unter ihnen befindet sich Markus Goette aus dem Vorstand der Stiftung Bildungswerk Stanisław Hantz aus Kassel im Zentrum Deutschlands, die schon seit einigen Jahren Reisen nach Polen zu den Stätten organisiert, an denen sich die Vernichtungslager befanden. „Wir wollen die Exekutionsstätten zeigen und dabei vor allem die vergessenen wie den Umschlagplatz. Wir sammeln Dokumente über diese Plätze, veröffentlichen sie und organisieren dann Debatten. Wir denken auch darüber nach, wie man ihnen gedenken kann“, sagt er.
Die Stiftung Stanisław Hantz, eines ehemaligen Häftlings des Lagers in Auschwitz, will an die Brutalität des Krieges erinnern: „Das Wissen darüber ist für die Deutschen notwendig, um die echte Vergangenheit kennen zu lernen und zu verstehen, was passierte“, überzeugt Markus Goette. Er versteckt nicht, dass er selbst ein Nachfahre der Henker ist: „Ich komme nach Polen, um besser zu verstehen, was unsere Großväter getan haben. Das ist eine Art von Schuldbegleichung.“
Nach Lublin ist auch Kurt Gutmann gekommen, ein deutscher Jude, der in der Lubliner Region seine Mutter und seinen ältesten Bruder verlor. Er hat seine Enkelin Tanja mitgenommen: „Diese Plätze gehören zu unserer Geschichte, unserer Familie. Mit meiner Anwesenheit will ich den Tod unserer Vorfahren ehren“, sagt er.
„Ich wollte verstehen, was hier passierte, die Geschichte dieser Plätze aufnehmen“, fügt Bernd Althof dazu. Der Bruder seiner Großmutter kam in Izbica um, nachdem er mit demselben Transport wie die Familie Gutmann in den Tod gefahren war. „Düsseldorf hat noch nie von Izbica gehört“, sagt er schmerzerfüllt.
Beide versichern, dass sie den Familien der Henker gegenüber keinen Hass empfinden, mit denen sie nach Polen gefahren sind: „Sie sind nicht verantwortlich für die damaligen Geschehnisse, aber sie müssen wissen, was hier geschah, damit sie nie wieder von oben auf uns herabschauen und die Geschichte sich nicht wiederholt. Es ist sehr einfach, Menschen zu manipulieren. Deutsche sollten die Tötungsstätten sehen, um eine Wiederholung der Tragödie zu verhindern“, meint Kurt Gutmann.
Die Besuche der Vernichtungslager koordiniert das Museum in Belzec. „Als wir begannen mit der deutschen Stiftung zusammenzuarbeiten, organisierten wir Reisen nur für Deutsche, um ihnen ihre Verantwortlichkeit für die Geschichte bewusst zu machen. Vor drei Jahren nahmen wir deutsche und holländische Juden in unser Programm auf“, sagt der Direktor des Museums, Robert Kuwałek. „Trotz anfänglicher Befürchtungen stellte sich diese Idee als sehr gut heraus. Beide Seiten reden über die Geschichte. Ich weiß nicht, ob das ein Schritt zur Versöhnung ist, aber sicher ist es einer zur gegenseitigen Verständigung.“
Heute besuchen die Gäste Sobibor, morgen Izbica, wo sie auf dem jüdischen Friedhof Gedenktafeln enthüllen, die von der Stiftung Hantz und dem örtlichen Gymnasium gestiftet wurden. Auf diese Weise gedenken sie des Platzes, an dem die Deutschen 1942 rund 2000 Juden erschossen. Sie fahren auch nach Bełżec und Treblinka.