Sobibór ist ein kleines Dorf in Ostpolen. Es liegt nicht weit vom Bug entfernt, dem Grenzfluss zwischen Polen, der Ukraine und Weißrussland. Die Bahnstation Sobibór liegt etwa acht Kilometer vom Dorf Sobibór entfernt an der Bahnlinie zwischen Chełm und Włodawa. Bis 1942 befand sich in diesem abgelegenen, waldreichen und sumpfigen Gebiet eine kleine Wohnsiedlung für Beschäftigte der polnischen Eisenbahngesellschaft und der Forstverwaltung.
Aufbau des Mordlagers
Im Spätherbst 1941 beobachteten polnische Eisenbahner, dass sich die deutschen Besatzer für das Gebiet interessierten. Sie untersuchten das Gelände und nahmen Vermessungen vor. Tatsächlich begannen dann im Februar 1942 auf dem Gelände gegenüber dem Bahnhof Sobibór Bauarbeiten zur Errichtung der Mordstätte. Die deutsche Zivilverwaltung stellte das Material zur Verfügung: Pfähle, Barackenteile, Ziegel und Stacheldraht. Weitere Baustoffe wurden durch den Abriss jüdischer Wohnhäuser beschafft. Bei den Aufbauarbeiten wurden Juden eingesetzt, die man aus den Ghettos und Zwangsarbeitslagern der Umgebung heranzog. Die Bauern der Umgebung wurden beauftragt, mit ihren Fuhrwerken das Baumaterial ins spätere Lager zu transportieren.
Topographie von Sobibor
Das Areal der Mordstätte Sobibor war anfänglich etwa 600 Meter lang und 400 Meter breit, im Sommer 1943 wurde das Gelände auf 1000 mal 400 Meter erweitert. Das Lagergebiet war von einem drei Meter hohen, mit Zweigen durchflochtenen doppelten Stacheldrahtzaun umgeben. Der Zaun sollte nicht nur die Flucht von jüdischen Gefangenen verhindern, sondern auch vor neugierigen Blicken schützen, beispielsweise aus den vorbeifahrenden Zügen. Während der gesamten Zeit seines Bestehens befand sich das Lager im Aus- oder Umbau.
Im sogenannten Vorlager der Mordstätte befand sich der Wohn- und Freizeitbereich für die deutschen Täter und die Trawniki. Die sogenannten Trawniki waren zumeist sowjetische Kriegsgefangene, bevorzugt Volksdeutsche und Ukrainer, die in einem Ausbildungslager in der Ortschaft Trawniki eine kurze militärische Ausbildung durchliefen.
An das Vorlager grenzte das Lager I, abgetrennt durch Stacheldrahtzäune. In diesem Bereich befanden sich die Unterkunftsbaracken der jüdischen Gefangenen und Werkstätten: Schusterei, Schreinerei, Tischlerei und andere Werkstätten.
Das Lager II war der „Aufnahmebereich“ des Lagers, in dem sich die ankommenden Jüdinnen und Juden auf einem Auskleideplatz ausziehen und ihr Gepäck abgeben mussten. In diesem Bereich wurde die geraubte Habe der Ermordeten nach Wertgegenständen durchsucht, sortiert und aufbewahrt. Hier befand sich zudem der sogenannte Erbhof, ein abgeschlossenes Areal u.a. mit Pferde-, Schweine-, Gänse- und Kaninchenställen.
Ein mehrere hundert Meter langer Weg verband das Lager II mit dem Tötungsbereich im Lager III. Dieser Verbindungsweg war mit einem Stacheldrahtzaun mit eingeflochtenen Zweigen eingefasst. Am Ende dieses von den deutschen Tätern als „Schlauch“ benannten Weges befand sich das Lager III mit den Gaskammern und Leichengruben. Für die Gefangenen, die in diesem vom restlichen Lager isolierten Bereich arbeiten mussten, gab es einen eigenen abgeteilten, eingezäunten Unterkunftsbereich.
Ab Sommer 1943 begann man mit dem Bau von Lager IVim nördlichen Bereich der Mordstätte. Es gab den Plan, in Sobibor Beutemunition für die Wehrmacht zu lagern und aufzuarbeiten. Dafür wurde das Lagergelände großzügig erweitert und mehrere bunkerähnliche Gebäude in errichtet. Nach dem Aufstand der jüdischen Gefangenen im Oktober 1943 wurde das Vorhaben der Munitionsverwertung aufgegeben.
Die deutschen Täter und die Trawniki
Mitte April 1942 wurden etwa zwanzig Deutsche unter der Leitung von Franz Stangl von Berlin nach Sobibor abkommandiert. Zuvor waren diese Männer am 70.000-fachen Patient*innenmord in den „Euthanasie“-Tötungsanstalten der „Aktion T4“ beteiligt. In der gesamten Zeit des Bestehens der Mordstätte Sobibor waren dort etwa fünfzig deutsche Täter eingesetzt. Die deutsche Lagermannschaft bestand gleichzeitig aus höchstens 25 Männern.
Die jüdischen Gefangenen
Von den in Sobibór eingetroffenen Jüdinnen und Juden suchten die deutschen Täter Einzelne zur Arbeit aus. Bis zu etwa 650 Gefangene mussten in verschiedenen Arbeitskommandos arbeiten. Sie wurden in allen Bereichen der Mordstätte und beim Ausbau des Lagers beschäftigt.
Unter den zur Arbeit ausgesuchten Gefangen waren etwa 150 Frauen. Meist arbeiteten sie in der Sortierung und in der Wäscherei. Ihre Aufgabe war es auch, die Unterkünfte der Wachmannschaften zu reinigen. Sie befanden sich in einer besonderen Lage. Sie waren neben ihrem mörderischen Alltag sexuellen Übergriffen durch die deutschen Täter und Trawniki ausgesetzt.
Die Mordstätte
Von den etwa 180.000 Jüdinnen und Juden, die in Sobibór ermordet wurden, kamen etwa 100.000 aus dem sogenannten Generalgouvernement. Das war der von Deutschland besetzte Teil Polens, der nicht in das Deutsche Reich eingegliedert wurde. Es wurden auch Jüdinnen und Juden aus Deutschland, Österreich, Tschechien, Slowakei, Niederlande und Frankreich nach Sobibor verschleppt. In den Sommermonaten und Anfang Herbst 1943 wurden die Ghettos im Distrikt Galizien, im weißrussischen Minsk und Lida, sowie im litauischen Vilnius aufgelöst. So wurden noch einmal Zehntausende Jüdinnen und Juden in Sobibor getötet.
Öffentlichkeit und Bereicherung
Das Mordgeschehen in Sobibór war in der Region nicht zu verheimlichen. Unter den jüdischen Ghettobewohner*innen, der polnischen Zivilbevölkerung und den deutschen Besatzern verbreiteten sich schnell Informationen und Gerüchte. Auf der öffentliche Bahnstation Sobibór hielten turnusmäßig vier Mal täglich Personenzüge. Nur wenige Meter von der Station entfernt begann die Umzäunung des Mordlagers. Ein Buffet im Bahnhofsgebäudes wurde auch von den deutschen Tätern und Trawniki besucht.
Der im zehn Kilometer entfernten Włodawa lebende Reichsdeutsche Paul Winkler sagte später dazu: „Dass sich in Sobibór ein Vernichtungslager befand, war mir, wie auch jedem anderen in Włodawa bekannt. Wenn man von Cholm nach Wlodawa mit der Bahn fuhr, konnte man die Judentransporte, tausende und zehntausende nach Sobibór fahren sehen. Nachts sah man von Włodawa aus dem Feuerschein von Sobibor, außerdem bemerkte man einen eigenartigen Geruch. Es war bekannt, dass die Juden dort vernichtet wurden.“
In der Region wurde mit den geraubten Wertsachen der Ermordeten gehandelt. Vor allem die Trawniki tauschten in den umliegenden Orten das Raubgut aus dem Lager gegen Alkohol, Lebensmittel. Sie waren gerne gesehene Gäste. Es tauchten Händler auf, um von den Trawniki Gold, Geld und Schmucksachen zu erwerben. Prostituierte boten ihre Dienste an.
Auch die deutschen Täter bereicherten sich an den geraubten Gegenständen der ermordeten Jüdinnen und Juden. Stand ein Heimaturlaub bevor, organisierten sie sich Koffer voll mit Wertsachen, Schmuck, Geld, Kleidung und Spielzeug. Sie ließen sich von Gefangenen Gemälde und Zeichnungen als Mitbringsel anfertigen. Inhaftierte Jüdinnen mussten für die Kinder der SS-Männer Kleidung nähen und Puppen anfertigen.
Flucht und Widerstand
Die ständige Androhung und Erfahrung von Gewalt sollten sowohl die im Lager neu Eintreffenden als auch die jüdischen Gefangenen davon abhalten, Widerstand zu leisten. Dennoch kam es immer wieder zu Ereignissen, bei denen Einzelne nach ihrer Ankunft in Sobibor ihre Bewacher angriffen oder beschimpften.
Trotz der angedrohten Strafen kam es immer wieder zu Fluchten und Fluchtversuchen. So hatten die jüdischen Gefangenen im Lager III einen Tunnel gegraben, durch den sie fliehen wollten. Unmittelbar vor dessen Fertigstellung wurde er entdeckt. Wegen Verrats misslang ein weiterer Fluchtplan holländischer Gefangener. Es gab auch erfolgreiche Fluchten. Kurz nach Weihnachten 1942 flüchteten fünf Jüdinnen und zwei Trawniki aus dem Lager III. Im Juli 1943 floh ein Teil des Waldkommandos, nachdem sie einen ihrer Bewacher überwältigen und töten konnten.
Der Aufstand in Sobibor
Im späten Frühjahr 1943 entstand eine Widerstandsgruppe unter den jüdischen Gefangenen. Leon Felhendler soll einer der führenden Köpfe dieser Gruppe gewesen sein. Mit einem Aufstand wollten die Gefangenen den Mord in Sobibor beenden. Als im September 1943 ein Transport von Jüdinnen und Juden aus Minsk in Sobibór eintraf, befanden sich unter ihnen auch jüdische sowjetische Kriegsgefangene. Leon Felhendler nahm Kontakt zu ihnen auf und sie planten nun gemeinsam einen Aufstand. Am 14. Oktober 1943 wurde der Plan umgesetzt. Die Gefangenen stürmten unter den Gewehrsalven der Wachmannschaften aus dem Lager in Richtung des rettenden Waldes. Etwa 360 Jüdinnen und Juden konnten am 14. Oktober 1943 in die Wälder flüchten. Von über 60 Jüdinnen und Juden ist bekannt, dass sie das Kriegsende überlebten. In den Tagen nach dem Aufstand wurden alle in Sobibor verbliebenen jüdischen Gefangenen ermordet. Die Gaskammern wurden gesprengt und die Massengräber eingeebnet und mit Bäumen bepflanzt. Im Juli 1944 befreite die Rote Armee die Gegend um Sobibór.
Strafverfolgung der Täter nach dem Krieg
Erich Bauer wurde im August 1949 von den Überlebenden Ester Raab und Samuel Lerer in Berlin erkannt. Das Berliner Landgericht verurteilte ihn am 8. Mai 1950 zum Tode. Das Urteil wurde in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt. Erich Bauer verstarb 1980 in Berlin.
1950 mussten sich vor dem Landgericht in Frankfurt am Main Hubert Gomerski und Johann Klier verantworten. Gomerski wurde zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilt. Nachdem 1972 der Bundesgerichtshof das Urteil aufgehoben hatte, wurde er entlassen. In einem Revisionsverfahren wurde das Urteil 1977 in eine 15-jährige Haftstrafe umgewandelt, ein weiteres Revisionsverfahren wurde 1981 wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten eingestellt. Hubert Gomerski verstarb 1999. Johann Klier wurde 1950 vom Landgericht Frankfurt am Main freigesprochen. Sobibór-Überlebende hatten entlastend für ihn ausgesagt.
1965/66 fand vor dem Landgericht in Hagen ein Prozess gegen zwölf deutsche Täter statt. Fünf der Angeklagten wurden wegen Putativnotstands (Befehlsnotstand) freigesprochen, weitere fünf wurden wegen Beihilfe zum Mord zu Haftstrafen zwischen drei und acht Jahren verurteilt. Kurt Bolender entzog sich wenige Wochen vor der Urteilsverkündung dem Richterspruch durch Suizid. Karl Frenzel wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach mehreren Revisionsverfahren wurde er 1985 erneut zu lebenslanger Haft verurteilt, ihm wurde allerdings die Strafe aufgrund seines Gesundheitszustandes erlassen. Karl Frenzel verstarb 1996 in Hannover.
Franz Stangl, dem ersten Kommandanten von Sobibór, gelang nach dem Zweiten Weltkrieg die Flucht über Syrien nach Brasilien. Nach Bemühungen von Simon Wiesenthal wurde er 1967 in Brasilien verhaftet und noch im selben Jahr an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert. 1970 wurde er vor dem Landgericht in Düsseldorf angeklagt, allerdings nur für seine Beteiligung an den Morden in Treblinka, wo er von September 1942 bis August 1943 Kommandant war. Im Dezember 1970 wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt, legte allerdings Revision gegen das Urteil ein. Er starb im Juni 1971 in einem Düsseldorfer Gefängnis an Herzversagen bevor das Urteil rechtskräftig wurde.
Gustav Wagner konnte über Italien und Syrien nach Brasilien flüchten. 1978 wurde er von Simon Wiesenthal aufgespürt. Der in Brasilien lebende Sobibor-Überlebende Stanislaw Szmajzner erkannte Gustav Wagner, woraufhin dieser verhaftet wurde. Mehrere Auslieferungsbegehren aus Polen, Österreich, der Bundesrepublik und Israel lehnten die brasilianischen Behörden ab und Gustav Wagner kam nach wenigen Monaten wieder frei. Am 3. Oktober 1980 fand man ihn tot in seinem Wohnhaus.
In der Nachkriegszeit fanden in der Sowjetunion mehrere Prozesse gegen Trawniki statt. Einige von ihnen waren in Sobibor eingesetzt. Es wurden mehrere Todesurteile gegen sie ausgesprochen.
Am 30. November 2009 begann in München der Prozess gegen den Trawniki John Iwan Demjanjuk. Er wurde der Beihilfe zum Mord an 28.060 Menschen im Mordlager Sobibor beschuldigt. Er wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt, die er aber nicht mehr antreten musste, da keine Fluchtgefahr bestand. Gegen das Urteil legte er Revision ein und verstarb im März 2012 in einem Altenheim im bayrischen Bad Feilnbach.