Im November 2012 kann der polnische Dokumentarfilm „Zydokomuna“ in Anwesenheit der Filmemacherin gezeigt werden. Bei Interesse bitte melden.
Zum Inhalt:
Seit dem Ersten Weltkrieg ist die „Żydokomuna“ [Judäakommunismus] einer der wichtigsten Mythen des polnischen Antisemitismus. Vor dem Zweiten Weltkrieg entwickelten die Katholische Kirche, die Rechte, die Liberalen und die Massenmedien mithilfe dieses Begriffs ein Angstszenario. Sie versuchten zu beweisen, der Kommunismus sei eine hinterhältige Idee, erdacht von Juden, die auf diese Weise die Herrschaft über die Welt erlangen wollten. In der politischen Szene Polens verurteilten alleinig die sozialistischen und kommunistischen Parteien die Benachteiligung der nationalen und religiösen Minderheiten: der Juden, der Weißrussen und Ukrainer. Sie sahen die Bedrohung im Nationalismus und nicht im „Internationalen Judentum“. Im Jahr 1921 wurde die Kommunistische Partei Polens verboten. Ab diesem Zeitpunkt organisierte sie sich in der Illegalität. Ihre Aktivisten und Aktivistinnen wurden schikaniert, in Gefängnissen und Straflagern weggesperrt und gefoltert.
Nach 1989 wurde der Antikommunismus in Polen erneut zu einer gesellschaftlichen Pflicht. Kommunisten, das seien entweder Verräter, Dummköpfe oder Verbrecher. Jede differenzierte Meinung zu diesem Thema wird als skandalös oder unzulässig behandelt. Das Resultat ist, dass die Geschichte der Linken in Polen ähnlich wie die Geschichte des Antisemitismus verschwiegen oder falsch präsentiert wird. Deswegen ist die „Żydokomuna“ weiterhin ein aktueller Topos der polnischen Kultur. Zusammen mit dem regelmäßigen Vergleich von Kommunismus und Nazismus dient er der symbolischen Annullierung des Holocausts, einer „Rivalisierung der Opfer“, dem Abwälzen der Schuld an den Verbrechen des Stalinismus auf „Fremde“. Die „Żydokomuna“ erlaubt es außerdem die Opfer selbst als Verantwortliche für den polnischen Antisemitismus – den historischen wie den gegenwärtigen – darzustellen. Die Auffassung, Juden hätten nach 1945 in Polen das kommunistische System eingeführt und dieses gegen den Willen der Polen an der Macht gehalten, ist allgemein verbreitet.
Welche Haltung vertraten die Linken in der Vorkriegszeit zu der so genannten „jüdischen Frage”? Was bewirkte, dass viele Juden und Jüdinnen sich für den Sozialismus und den Kommunismus engagierten? Wo verliefen die Streitfragen zwischen den einzelnen linken Gruppierungen in bezug auf ihre Politik zu den ethnischen und religiösen Minderheiten? Welchen Einfluss hatten der Krieg und der faschistische Terror darauf, dass sich polnische Juden und Jüdinnen links engagierten? Wie sah der Verlauf der polnischen Geschichte des 20. Jahrhunderts aus dem Blickwinkel von Marxisten der Vorkriegszeit aus? Was denken sie über die gegenwärtige Geschichtspolitik in Polen? Auf diese und viele andere Fragen sucht der Film „Żydokomuna“ Antworten. Er ist ein Versuch, seinen Titelbegriff zu dekonstruieren, der weiterhin in der polnischen Umgangs- und politischen Sprache allgegenwärtig ist.
Im Film treten Aktivisten und Aktivistinnen auf, die sich in der Vorkriegszeit in den damals aktiven kommunistischen und sozialistischen Parteien und Organisationen engagierten, u.a. in der Kommunistischen Partei Polens, der Polnischen Sozialistischen Partei, dem Bund, der Jugendorganisation zur Unterstützung der Revolutionäre sowie ihre Kinder und HistorikerInnen der Arbeiterbewegung und des Antisemitismus.
Die Erzählungen der Darsteller zeichnen zentrale Momente der polnisch-jüdischen Geschichte nach, u.a. 1936-1939 (Einführung der Zugangsbeschränkungen für jüdische Studierende an polnischen Lehreinrichtungen), 1945-1949 (Aktivitäten des antikommunistischen Untergrunds, zahlreiche Pogrome gegen Juden und Jüdinnen, die den Holocaust überlebt hatten, die Anfänge der Polnischen Volksrepublik),1968 (staatliche antisemitische Kampagne).
Der Dokumentarfilm „Żydokomuna“ ist ein Projekt des Ethnografischen Instituts [Archiwum Etnograficzne] in Warschau – das antropologisch-soziologische Untersuchungen durchführt. Es handelt sich bei dem Film um eine lowbudget Produktion, nicht um einen professionellen Film, die Filmemacherinnen verstehen sich mehr als Forscherinnen denn als Dokumentarfilmerinnen.
Film : Zydokomuna
Regie: Anna Zawadzka
Bild und Schnitt: Alicja Plachówna
Filmdauer: 75 Minuten
Archiwum Etnograficzne 2010
Untertitelung in Deutsch: Steffen Hänschen
Trailer des Films:
Konditionen
Es besteht die Möglichkeit, diesen Film in Anwesenheit der Filmemacherin Anna Zawadzka zu zeigen. Bei Interesse schreiben Sie bitte an Steffen Hänschen: haenschen@bildungswerk-ks.de
Termin: 23.-25. November 2012. Nach Absprache auch andere Termine möglich.
Konditionen: Die Filmemacherin spricht Englisch und Polnisch. Übersetzung aus dem Polnischen nach Absprache möglich. Die Kosten belaufen sich auf: Anreise (1-2 Personen) und Honorar. Bei Übersetzung ebenfalls Übersetzerhonorar.