Stanisław Hantz verstorben

Am 17. Juli 2008 verstarb unser lieber Freund und Unterstützer, unser Namensgeber, in einer Klinik in Krakau. Er überlebte eine notwendig gewordene Herzoperation nur wenige Tage. Zwanzig Jahre haben wir mit Staszek zusammen gearbeitet. Aus der Zusammenarbeit entstand eine enge und herzliche Freundschaft. Leider müssen wir auf sein Lachen, seinen Humor, seinen Charme und seine Weisheit verzichten. Er fehlt uns.

Staszek ist tot.

Er starb am Abend des 17. Juli an den Folgen einer Herzoperation im Alter von 85 Jahren.

Wir lernten ihn vor zwanzig Jahren kennen. Seither begleitete er uns und unsere Arbeit. Als Zeitzeuge und als Freund, als kritischer Beobachter und als wohlwollender Unterstützer.

Staszek wurde 1940 als 17-Jähriger nach einer Straßenrazzia in Warschau in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Bis Herbst 1944 war er dort eingesperrt, anfänglich im sogenannten Stammlager, später in Auschwitz-Birkenau. Die überwiegende Zeit musste er dort im Kommando Zimmerei arbeiten. Im Zuge der Evakuierung des Lagers wurde er in den Westen verschleppt und schließlich im April 1945 im Lager Dachau befreit.

Er kehrte zurück nach Polen, in das zerstörte Warschau, nach seinen Aussagen, der schlimmste Tag seines Lebens. Es gelang ihm nicht, dort wieder Fuß zu fassen und kehrte im folgenden Frühjahr zurück nach Auschwitz, dem befreiten Auschwitz. Zu den Ruinen der gesprengten Vergasungsanlagen, den abgetragenen Baracken, den verfallenden Zäunen. Er beteiligte sich am Aufbau eines Erinnerungsortes an die begangenen Verbrechen, die er miterlebt und überlebt hatte. Und er führte die Besucher, vor allem Familien in Auschwitz ermordeter Polen. Bis ihm ein Arzt empfahl, zu gehen.  Körper und Seele konnten die Nähe zum Lager nicht ertragen, der Ort verbrenne ihn. 

Stanisław Hantz

Gemeinsam mit seiner Frau Regina und den beiden Töchtern Krystyna und Wanda  lebte er später im westpolnischen Zgorzelec und arbeitete in Grubenbetrieben, zuletzt und nach einem Jurastudium als Personalchef. Seine Zeit in Auschwitz begleitete ihn. Unerträglich blieben ihm gestreifte Pyjamas. Gold als Zahnersatz  lehnte er ab. Ein entspanntes Verhältnis zm Essen konnte er nicht mehr finden, stets aß er in einer eigenartigen Einsamkeit vor sich hin, stets kaufte er im Überfluss Lebensmittel, vor allem Brot.

Nach seiner Pensionierung gründete Staszek den Klub ehemaliger Konzentrationslagerhäftlinge in seiner Heimatstadt, dem er die vergangenen zwanzig Jahre vorstand.

Staszek suchte nach Verstehen. Er forschte nach. Erklärungen, nach Verbindungen mit seinem eigenen Leben, wollte Lücken schließen und seine Erinnerung rückversichern. Er vertiefte sich in historische Abhandlungen über Auschwitz, versenkte sich in die Sterbelisten von Auschwitz in der Hoffnung, auf ihm bekannte Namen zu stoßen, las die Berichte ehemaliger Mithäftlinge, die er mit seinen Erinnerungen abglich. Und verknüpfte seine Vergangenheit mit der anderer.  Unvergessen wird uns ein Bild begleiten: Staszek mit aufgeschlagenen Auschwitzbüchern, lesend,  Passagen vergleichend, die Karte der Lager ausgebreitet, flüsternd, mit dem Zeigefinger den Wörtern folgend … suchend.

Schließlich gab es kaum ein Auschwitzer Datum, kaum ein Ereignis, das er nicht benennen konnte. Sein ganz besonderes Wissen ist mit ihm gegangen: Wer will uns sagen, wie die Stimme des Lagerführers Fritsch klang, wie der SS-Mann Perelka daher kam …wie das Lagerbrot roch oder die Häftlingswurst aussah oder wie erbärmlich die blutjungen sowjetischen Kriegsgefangenen herum schlürften.

Staszek sprach öffentlich von seinen KZ-Erfahrungen. Er erzählte von seinen leidvollen Erlebnissen und suchte gleichzeitig nach dem Trost in dem Erlebten, nach einer Aussöhnung mit seinen grausamen Erfahrungen.

Ein Mensch, den Auschwitz nicht losließ und der Auschwitz nicht losließ.

Unzählige Male reiste er mit uns in die Gedenkstätte Auschwitz, begleitete unsere Studienfahrten mit seinem Wissen und seinen Erinnerungen, auch mit seinem Humor. Erzählte gerne und bereitwillig. Keine Frage war ihm zu unwissend oder zu voreingenommen, um sie nicht ernsthaft zu beantworten. Er genoss die Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde – ihm und seiner Vergangenheit. Hass und Vorwürfe waren ihm längst fremd geworden – oft war er das ‚vergnügteste’ Gruppenmitglied bei unseren Auschwitzbesuchen.  

1998 erschien das von uns initiierte und von ihm gerne unterstützte Buch Zitronen aus Kanada. Das Leben mit Auschwitz des Stanisław Hantz. Für Staszek ein wichtiges Ereignis. Mit ihm verband er die Anerkennung seiner KZ-Geschichte und deren Bedeutsamkeit.

Oft reiste er mit uns durch Deutschland, um zu erzählen. In Schulen, bei Vereinen, Institutionen oder städtischen Einrichtungen oder bei kleinen Initiativen. Berührungsängste waren ihm fremd, bunte Haare fand er lustig, alternative Lebensformen interessant.

Am Ende seines Lebens initiierte Staszek  die Errichtung eines Denkmals für die Opfer der Konzentrations- und Vernichtungslager in Zgorzelec; wir unterstützten ihn dabei.  Es war ein hartes Ringen um dessen Standort, den er nicht auf dem Friedhof akzeptieren wollte, sondern in nur einem öffentlicheren Raum sehen wollte. Staszek setzte sich durch. Nun steht ein unübersehbares Monument an der Straße vor dem Zgorzelecer Friedhof. Ein Erinnerungsort, der allen Ermordeten nationalsozialistischer Gewaltherrschaft in den Konzentrations- und Vernichtugnslagern gedenkt.

Zeit seines Lebens war Staszek mit der Verarbeitung seiner Auschwitz-Erfahrungen beschäftigt und blieb dennoch ein fröhlicher, überschäumend-übermütiger Mensch, der sein Leben, sein Überleben genoss und bis zum letzten Augenblick auskostete. Mit beeindruckender Lebensbejahung stellte er sich seiner leidvollen Vergangenheit. Mit ganzem Herzen setzte er sich dafür ein, die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen wach zu halten. Und bewahrte sich gleichzeitig seine Lust am Leben.

Trotz seines hohen Alters riss ihn er Tod mitten aus dem Leben. Er hatte einen vollen Terminkalender, viele Pläne.  Er freute sich über den schnellen Operationstermin und war voller Hoffnung, danach wieder kräftiger seinem Leben nachgehen zu können.

Mit Staszeks Tod haben wir einen Freund verloren. Einen lustigen, schelmischen Freund. Wir haben einen Menschen verloren, der uns in beeindruckender Weise zeigte, wie er trotz erlittener schwerster Verletzungen das Leben bejahen konnte.

Wir freuen uns, diesen Menschen kennen gelernt zu haben. Wir trauern um Staszek. 

Bildungswerk Stanisław Hantz e.v.
Juli 2008

Gedenkfahrt

Vom 5. bis 9. Februar 2009 veranstalten wir eine Gedenkfahrt für Stanisław Hantz und Henryk Mandelbaum nach Auschwitz. Wir werden alle für sie wichtigen Plätze noch einmal besuchen und von unseren Begegnungen erzählen. Mit auf dem Programm stehen unveröffentlichte Filmaufnahmen. Wenn es die Gesundheit von Regina Hantz erlaubt, wird sie unsere Reise begleiten. Wer mitkommen will, meldet sich bitte bei uns schriftlich oder per email an.

Bäume der Erinnerung

Wir wollen einen Erinnerungsbaum für Stanisław Hantz und für Henryk Mandelbaum auf dem Gelände der Internationalen Begegnungsstätte pflanzen. Spenden sind herzlich willkommen.

Nach oben scrollen