Am 25. November 2021 wurde auf Initiative des Pilecki-Instituts am Standort der ehemaligen Bahnstation Treblinka ein Stein mit einer Gedenktafel für den polnischen Eisenbahner Jan Maletka enthüllt. Das Bildungswerk Stanisław Hantz e.V. möchte dazu kritisch Stellung beziehen.
Stellungnahme des Bildungswerks Stanisław Hantz e.V.
Am 25. November 2021, dem Tag der polnischen Eisenbahner, fand in Prostyń, einem etwa drei Kilometer von Treblinka entfernten Dorf, ein Gedenkgottesdienst zu Ehren des polnischen Eisenbahners Jan Maletka statt.
Der 21jährige Jan Maletka arbeitete auf der Bahnstation Treblinka und wurde am 20. August 1942 von den Bewachern eines Deportationszuges erschossen. Jan Maletka hatte versucht, Jüdinnen und Juden mit Wasser zu versorgen, die in Waggons auf ihre Weiterfahrt in die Mordstätte warteten.
Im Anschluss an die Zeremonie in Prostyń wurde am Standort der ehemaligen Bahnstation Treblinka eine Gedenktafel für Jan Maletka mit folgender Aufschrift enthüllt:
Zum Gedenken an Jan Maletka
Ermordet von den nationalsozialistischen Deutschen
am 20. August 1942
für die Hilfeleistung für die Juden
Zum Gedenken der ermordeten Juden
im deutschen nationalsozialistischen Vernichtungslager Treblinka
Die Gedenktafel wurde an einem 120 cm hohen und 80 cm breiten Stein befestigt. Die Initiative zu diesem Gedenkstein ging vom Pilecki-Institut aus, das 2017 auf Anregung des Kulturministeriums vom polnischen Parlament gegründet und finanziell ausgestattet wurde. Das Pilecki-Institut hat sich zur Aufgabe gesetzt, den Holocaust in erster Linie unter dem Blickwinkel des polnischen Leidens und der Hilfe für Jüdinnen und Juden darzustellen. Dafür legte das Institut die Kampagne „Called by Name“ auf, in deren Rahmen Polen und Polinnen gedacht werden soll, die sich für die Rettung von Jüdinnen und Juden einsetzten.
Der Gedenkstein für Jan Maletka wurde an dem Gedenkort „Stacja Treblinka“ aufgestellt. Dieser Gedenkort entstand im Jahr 2020 und wurde vom Bildungswerk Stanisław Hantz mitinitiiert und mitfinanziert. Die Einrichtung und der Aufbau des Gedenkortes „Stacja Treblinka“ war uns ein wichtiges Anliegen. In der leidvollen Geschichte des Holocaust nimmt dieser Ort eine besondere Rolle ein. Für fast eine Million Jüdinnen*Juden war der Bahnhof die Station zwischen Leben und Tod. Von dort aus wurden die Deportationswaggons in die Mordstätte geschoben. Wir fühlen uns den Menschen verpflichtet, die auf dem Bahnhof Treblinka auf ihren bevorstehenden Tod in der Gaskammer warten mussten oder bei dem Versuch, diesem Schreckensort zu entfliehen, erschossen wurden. Wir fühlen uns verpflichtet, auf dem Gelände des ehemaligen Bahnhofs Treblinka an sie zu erinnern und ihrer zu gedenken.
So sehr das Schicksal von Jan Maletka allen Respekt und Würdigung verdient, halten wir den Standort des Gedenksteins für fehl am Platze. Wie wir aus unserer langjährigen Arbeit wissen, ist vielen Berichten von jüdischen Überlebenden sowie der polnischen Widerstandsbewegung zu entnehmen, dass Wasser auf dem Bahnhof nur gegen Bezahlung erhältlich war. In den Erinnerungen der jüdischen Überlebenden gab es Wasser und Nahrung nur gegen Wucherpreise. Eine Flasche für 100 Złoty. Ein Kilo Brot für 500 Złoty. Oft wurde bezahlt, die versprochene Ware aber nicht in den Waggon gereicht. Eddie Weinstein wurde im August 1942 aus seinem Heimatort Łosice nach Treblinka verschleppt. Im Mordlager wurde er zur Arbeit selektiert. Nach einigen Monaten gelang es ihm, aus Treblinka zu flüchten und er erlebte in einem Versteck das Ende der deutschen Besatzung. In seinen Erinnerungen berichtete er von seinem Aufenthalt auf dem Bahnhof. Eddie Weinstein kam zwei Tage nach der Ermordung Maletkas am 22. August 1942 am Bahnhof Treblinka an:
„Die Polen, die auf dem Bahnhof arbeiteten, näherten sich einem SS-Soldaten und fragten um Erlaubnis, Wasser an die durstigen Menschen verteilen zu dürfen, und er stimmte zu. Sie trugen Wassereimer zu den Waggons herüber und füllten die Flaschen, die ihnen die Deportierten hinhielten. Aber sie zahlten teuer für jede Flasche. Polnisches Geld war nicht gut; sie akzeptierten nur harte Fremdwährung oder Wertsachen wie Ringe, Ohrringe und Broschen. Ohne diese konntest du kein Wasser bekommen.“1
Mit der Aufstellung des Gedenksteins für Jan Maletka und der gleichzeitig fehlenden ausgewogenen Beschreibung der Verhältnisse am Bahnhof Treblinka ist ein Ungleichgewicht entstanden: Zum einen steht das Gedenken an ein polnisches Opfer Hunderttausenden jüdischen Opfern gegenüber. Zum anderen entsteht durch die einseitige Erzählung der Versorgung der jüdischen Opfer mit Wasser als Hilfeleistung ein unvollständiges Bild der Situation vor Ort. Am Gedenkort „Stacja Treblinka“ hat damit eine unvollständige und einseitige Geschichtsdarstellung einen Platz gegriffen und das bedauern wir zutiefst. Der Gedenkort „Stacja Treblinka“ sollte dazu dienen, an das Leiden der jüdischen Deportierten zu erinnern. Die Aufstellung des Gedenksteins für Jan Maletka an diesem Ort stellt unserer Auffassung nach eine bewusste, von der polnischen Regierungspartei PiS geförderte geschichtspolitische Intervention dar, die das berechtigte Gedenken an diesen Eisenbahner missbraucht.
Auch nach der Aufstellung des Gedenksteins für Jan Maletka werden wir uns dafür engagieren, dass der Gedenkort Stacja Treblinka ein würdiger Platz der Erinnerung ist, an dem Jüdinnen und Juden die letzten Stunden vor ihrem Tod ausharren mussten.
1 Eddie Weinstein, 17 Days in Treblinka, Jerusalem 2008, S. 35. Eine sehr eindrucksvolle Schilderung der Situation auf dem Bahnhof Treblinka Ende August 1942 enthält auch der Bericht von Abraham Krzepicki, dem im September 1942 die Flucht aus Treblinka gelang; Abraham Krzepicki, Achtzehn Tage in Treblinka, in: Frank Beer/Wolfgang Benz/Barbara Distel (Hrsg.), Nach dem Untergang. Die ersten Zeugnisse der Shoah in Polen 1944-1947. Berichte der Zentralen Jüdischen Historischen Kommission, Berlin/Dachau 2014, S. 553-616, hier: S. 558.