Anna Kaczmarska war eine kräftige, fröhliche Frau, sie wirkte offen und sprach mit lauter Stimme. Sie begleitete die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unsere Bildungsreisen im Frauenlager Auschwitz-Birkenau und sie erzählte uns gerne von ihren Lagererinnerungen. Sie lebte mitten in Krakau, ganz in der Nähe des Klubs der ehemaligen Häftlinge Deutscher Konzentrationslager, den sie regelmäßig besuchte. Sie bewohnte ein großes Zimmer in der Wohnung ihres Sohnes. Dort holten wir sie all die Jahre ab, in denen sie mit uns das Frauenlager besuchte. Anna Kaczmarska hatte nach dem Krieg Auschwitz und ‚ihr‘ Frauenlager nur einmal, anlässlich des Papstbesuches im Jahr 1979, wieder gesehen, danach erst wieder mit uns gemeinsam. Wie nah ihre Erfahrungen, all ihr Leid für sie waren zeigte sich immer wieder. Der Besuch ‚ihrer‘ Baracke, der Anblick ‚ihrer‘ Koje beeindruckten sie schwer und erschütterten sie immer wieder.
Als Anna Kaczmarska nach dem Krieg aus Deutschland zurückkam, erzählte sie von ihrer Haft im Konzentrationslager der Familie, den Nachbarn, Nachbarinnen, allen, die es hören und wissen wollten. Zuhause, auf der Straße, dem Marktplatz. Damals war Anna Kaczmarska knapp zwanzig Jahre alt. Zwei Jahre zuvor war sie nach Auschwitz verschleppt worden. Zufällig und willkürlich. Sie war eine von vielen Polinnen und Polen, die die Deutschen auf dem Bahnhof in Krakau bei einer Razzia, einer reinen Terroraktion, mitnahmen und nach Auschwitz deportierten.
Anna Kaczmarska erinnerte sich nur bruchstückhaft an ihre Zeit im Lager Auschwitz. An ihre Anfangszeit im Frauenlager Birkenau hatte sie vor allem in Erinnerung, dass sie an einem lebensgefährlichen Geschwür erkrankt war. Nach einem zufälligen Sturz aus der Schlafkoje, bei dem das Geschwür aufplatzte, trat ihre Gesundung ein. Für sie war das ein zentraler Punkt, um ihr Überleben in Auschwitz zu erklären. Eine weitere Erklärung für ihr Überleben war die Gewöhnung an harte Arbeit von Kindheit an. Denn in Auschwitz arbeitete Anna Kaczmarska im Abrisskommando. Die Frauen benutzten schwere Holzbalken als Rammböcke, um Häuserwände einzureißen.
Anna Kaczmarska meldete sich zur Arbeit in der ‚Krankenbaracke‘ des ‚Zigeunerlager‘ in Auschwitz-Birkenau. Dort begegnete ihr der wohl berüchtigste Arzt von Auschwitz, Dr. Josef Mengele. Er kam jeden Tag in das so genannte Zigeunerlager in Birkenau, wo er unerträglich fürchterlich seine Menschenversuche durchführte. Dr. Mengele hatte Hanka nachhaltig beeindruckt. Sie beschrieb ihn als stolz und selbstsicher, als eine gepflegte, gut aussehende Erscheinung. Wir Zuhörerinnen und Zuhörer zuckten unter diesem Tabubruch zusammen – für sie war es nichts weiter als eine Feststellung. Anna Kaczmarska arbeitete als Pflegerin im Krankenbau vor allem mit Kindern. Eine ihrer schlimmsten Aufgaben bestand darin, die Toten aus dem Block zu schleppen. Für einige wenige Tage kam sie noch einmal in den benachbarten Abschnitt des Lagers zurück, ins Frauenlager von Birkenau. Das war nach der Auflösung des sogenannten Zigeunerlagers im August 1944. Nachdem man in der Nacht die verbliebenen etwa 2800 Menschen in den Gaskammern ermordet hatte.
Für Anna Kaczmarska folgte nun eine monatelange Irrfahrt durch Westeuropa. Parallel zum Kriegsverlauf und dem häufigen Einsatz von Häftlingen in der deutschen Rüstungsindustrie wurde sie im August 1944 für zwei Wochen zur Arbeit in einer Munitionsfabrik in die Nähe von Paris verlegt. Danach ging es zurück in den Osten. Drei Monate verbrachte sie im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, damals hausten sie auf Feldern unter offenem Himmel. Schliesslich wurde sie zur Demontage von Flugzeugteilen nach Berlin gebracht. Bis sich die Front soweit genähert hatte, dass die Gefahr ihrer Befreiung den Nationalsozialisten zu groß wurde. Man schickte sie auf den, Todesmarsch’. Auf diesem Marsch schließlich wurde sie von der die Roten Armee befreit. Endlich konnte sie, die damals 20-Jährige, zurück nach Hause.
Als Zeugin reiste sie mehrfach zu Gerichtsprozessen gegen SS-Täter nach Deutschland.
Anna Kaczmarska verstarb Anfang der 2000er Jahre in Krakau.