Auf dem obigen Foto sind von rechts nach links Sucia Hofert, Rozia Susskind, Pepka Weitz und Suzia Wein zu sehen. Sie haben sich im Januar 1941 in Kolbuszowa fotografieren lassen. Auf der Rückseite des Fotos wurde vermerkt: „Die Gegenwart ist dunkel und trostlos, aber lass uns glauben, dass die Zukunft in Palästina schön sein wird. Für meinen lieben Freund Naftali, Rozia S., Kolbuszowa, 5. Januar 1941.“
Die Stadt Kolbuszowa liegt etwa 150 Kilometer östlich von Krakau. Dort lebten vor dem deutschen Überfall auf Polen etwa 2.500 Jüdinnen und Juden. Im Juni 1941 mussten die meisten von ihnen ihre Wohnungen verlassen und sich in dem als Ghetto festgelegten Stadtteil eine neue Unterkunft suchen. Ein Jahr später wurde ihnen befohlen, in das zwanzig Kilometer entfernte Ghetto von Rzeszów umzuziehen. Knapp zwei Wochen später, am 7. Juli 1942, begannen die Deutschen damit, die Bewohner*innen des Ghettos in das Mordlager Belzec zu verschleppen. Bis zum 18. Juli verließen vier Eisenbahnzüge mit jeweils 4.000 Jüdinnen und Juden die Stadt Rzeszów.
Unter ihnen waren auch Sucia Hofert, Rozia Susskind, Pepka Weitz und Suzia Wein. Sie waren vier von etwa 450.000 Jüdinnen und Juden, die zwischen März und Dezember 1942 in den Gaskammern von Belzec ermordet wurden. Jedes einzelne dieser 450.000 Opfer hatte seine eigene Lebensgeschichte, eine Familie, einen Beruf, hatte Hoffnungen und Wünsche und Pläne. So vielfältig und unterschiedlich, wie die Menschen und ihre Lebensläufe sind.
Im Zuge der „Aktion Reinhardt“ wurden in den Mordstätten Belzec, Sobibor und Treblinka zwischen März 1942 und Oktober 1943 insgesamt etwa 1,5 Millionen Jüdinnen und Juden getötet. Anlässlich des 82. Jahrestag des Beginns der „Aktion Reinhardt“ im Mordlager Belzec ist die vom Museum in Bełżec gestaltete Ausstellung „Jedes Opfer hat einen Namen“ zu sehen, die mit biografischen Skizzen und Fotografien einige dieser Menschen aus der Anonymität heraustreten lässt und an sie erinnert.
Die Ausstellung ist vom 17. März bis 17. April 2024 zu sehen.
Ort: FMP1, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin
„Jedes Opfer hat einen Namen“ – Die Ausstellung kann beim Bildungswerk Stanisław Hantz e.V. ausgeliehen werden. Anfragen an: info@bildungswerk-ks.de.
Veranstaltungen zur Ausstellung
Ausstellungseröffnung
mit einer Einführung in die Geschichte der „Aktion Reinhardt“
17. März, 18.00 Uhr
Ort: FMP1, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin
Belzec/Bełżec: Mordstätte – Museum – Ort
Vortrag und Gespräch mit Ewa Koper,
Mitarbeiterin der Gedenkstätte in Bełżec
21. März, 19.00 Uhr
Ort: FMP1, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin
2024 begeht das Museum in Bełżec sein 20-Jähriges Bestehen. Ewa Koper arbeitet dort seit 2008 und leitet die pädagogische Abteilung. In ihrem Beitrag wird sie die Geschichte der Mordstätte nachzeichnen und berichten, dass es viele Jahre gedauert hat, bis 1965 endlich eine Gedenkstätte eingerichtet wurde. Allerdings ohne Museum und ohne Information, was an diesem Ort von März 1942 bis Juni 1943 geschehen war. Erst im Juni 2004 wurde mit einer neu gestalteten Gedenkstätte auch ein Museum eröffnet. Im Gespräch wird Ewa Koper Fragen beantworten, die die Aktivitäten des Museums und sein Verhältnis zu den Anwohner*innen beleuchten sollen.
„Die Tage waren voller Todesangst und sterben“
Lesung aus dem Bericht „Bełżec“
8. April, 19.00 Uhr
Ort: FMP1, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin
Bis zum heutigen Tag sind nur drei Männer bekannt, denen die Flucht aus der Mordstätte Belzec gelang und die das Kriegsende erlebten: Chaim Hirszman, Israel Spira und Rudolf Reder.
Bereits 1946 veröffentlichte die Zentrale Jüdische Historische Kommission in Krakau den Bericht „Bełżec“ von Rudolf Reder über die Monate, die er dort verbringen musste. Es gibt viele Beschreibungen über das Todeslager aus der Sicht der deutschen Täter, der Trawniki-Wachmänner und natürlich von Anwohner*innen aus Bełżec. Der Bericht von Rudolf Reder ist die einzige ausführliche Information eines Juden, der die Mordstätte Belzec überlebt hatte.
Rudolf (Rubin Hermanowicz) Reder wurde am 4. April 1881 geboren. Er war von Beruf Chemiker und zum Zeitpunkt der deutschen Besatzung von Lemberg betrieb er die größte Seifenfabrik der Stadt. Reder wurde Mitte August 1942 von Lemberg nach Belzec verschleppt Bei seiner Ankunft bestimmten ihn die deutschen Täter zur Arbeit in der Mordstätte. Im November 1942 gelang Reder die Flucht, als er mit vier SS-Männern und einem Trawniki-Wachmann zum Einkauf von Metallblech nach Lemberg mitgeschickt wurde. Er versteckte sich bei Joanna Borkowska, einer ihm bekannten Polin. 1945 lassen sich Rudolf Reder und Joanna Borkowska in Krakau nieder. Am 8. November 1949 heirateten sie. Schließlich wurde sein Betrieb verstaatlicht. Im Februar 1951 emigrierten Rudolf und Joanna Reder nach Israel und von dort im Juni 1952 nach Kanada. Rudolf Reder verstarb im Alter von 96 Jahren am 8. Oktober 1977 in Toronto.
Der lange Weg zu Jeanette und Hans-Josef Gutmann
Eine deutsche Familiengeschichte, erzählt von Elke Tischer und Hans-Joachim Gutmann
11. April, 19.00 Uhr
Ort: FMP1, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin
In Mühlheim lebte die jüdische Familie Gutmann. Die Mutter Jeanette mit ihren drei Söhnen Hans-Josef, Fritz und Kurt. Der Vater war 1928 verstorben. Nach 1933 versuchte die Mutter ihre Söhne vor der Verfolgung in Sicherheit zu bringen. Zunächst fand Fritz den Weg nach Großbritannien. Im Juni 1939 folgte ihm Kurt. Er fand Platz auf einem der letzten Kindertransporte, der ihn nach Schottland brachte. Im April 1942 mussten Jeanette und Hans-Josef Gutman zusammen mit über 900 Jüdinnen und Juden einen Zug besteigen, der sie von Düsseldorf „in den Osten“ brachte. Endstation der Fahrt war das kleine Städtchen Izbica in Ostpolen. In Izbica verliert sich die Spur von Jeanette und Hans-Josef Gutmann.
Im Jahr 1942 wurde Izbica für einige Monate zu einem sogenannten Transitghetto. Aus dem Reich (u. a. Dortmund, Koblenz, Stuttgart, Würzburg), aus Österreich, Luxemburg, der Slowakei sowie dem Protektorat Böhmen und Mähren wurden Jüdinnen und Juden nach Izbica verschleppt. Nach einem kurzen Aufenthalt in dem Städtchen wurden sie in den Mordstätten der „Aktion Reinhardt“, Sobibor bzw. Belzec, getötet.
Kurt Gutmann kam 1945 als britischer Soldat nach Deutschland zurück und ließ sich 1948 in Berlin nieder. Er suchte jahrzehntelang nach Spuren zum Schicksal seiner Mutter und seines Bruders. Er kam über den Verlust seiner Familie nie wirklich hinweg und pflegte das Gedenken an sie. Er verstarb 2017.
Elke Tischer und Hans-Joachim Gutmann, die Kinder von Kurt Gutmann, werden die Geschichte ihrer Oma und ihres Onkels nachzeichnen und über die Bemühungen ihres Vaters berichten, nach 1945 das Schicksal seiner Angehörigen aufzuklären.
„Schürfplätze – Grabraub in Bełżec und Sobibór”
Buchvorstellung mit dem Autor Paweł Piotr Reszka
15. April, 19.00 Uhr
Ort: FMP1, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin
„Wir waren neugierige Jungens und gingen los, um zu schauen“, erinnert sich Marian S., der nicht weit entfernt von Bełżec wohnte. Auf dem Areal der ehemaligen Mordstätte sieht er „Haare, Hände, Finger, ganze Köpfe. Ein unglaublicher Gestank, wenn man auf das Gelände kam. Ich sah eine Grube, sie haben gerade eine Leiche herausgezogen, der Körper war noch intakt.“ Der Anwohner Waldemar K. weiß, „es gab dort alles. Ringe, Halsketten, Dollars.“
Die Gelände der ehemaligen Mordlager Belzec und Sobibor sind Massengräber für mehrere Hunderttausend Jüdinnen und Juden, die hier in den Jahren 1942 und 1943 im Rahmen der „Aktion Reinhardt“ ermordet wurden. Nach Auflösung der Lager wurden die Orte über viele Jahre zum Schauplatz eines Grabraubes von kaum vorstellbarem Ausmaß. Angelockt von der Aussicht auf Reichtum, durchwühlten Bewohner*innen der umliegenden Dörfer den Boden. Mehrere Jahre hat der polnische Journalist Paweł Piotr Reszka recherchiert, um mehr über die Grabräuber in Bełżec und Sobibór zu erfahren. Er hat Ermittlungsakten aus Strafprozessen gelesen, hat mit Historikern und Archäologen gesprochen und schließlich auch Interviews mit früheren Grabräuber*innen, ihren Angehörigen und Nachbar*innen geführt. Das Ergebnis seiner Recherchen veröffentlichte Reszka 2019 in Polen. Sein Buch „Pluczki“ wurde 2022 in deutscher Sprache veröffentlicht.
(Schürfplätze – Grabraub in Bełżec und Sobibór, Berlin 2022)
Bei allen Veranstaltungen werden Spenden zur Unterstützung der jüdischen Gemeinde von Drohobytsch/Ukraine gesammelt. Mehr Informationen dazu können sie hier lesen:
Die Ausstellung sowie die Veranstaltungen finden in Kooperation mit dem Bildungswerk Stanisław Hantz e.V., Münzenberg Forum, Rosa Luxemburg Stiftung und der VVN-BdA statt.