Bełżec

Die Geschichtsschreibung des Holocaust hat sich darauf verständigt, dass vermutlich am 13. Oktober 1941 der Bau des Mordlagers Bełżec beschlossen wurde. An diesem Tag soll dies zwischen dem Reichsführer SS, Heinrich Himmler, dem Höheren SS- und Polizeiführer Krüger sowie dem SS- und Polizeiführer des Distrikt Lublin, Odilo Globocnik, vereinbart worden sein. Für die Entscheidung, das erste Mordlager seiner Art in Bełżec zu errichten, sprach vermutlich, dass die Ortschaft zentral zwischen den Distrikten Lublin, Galizien und Krakau lag und über eine zentrale Eisenbahn- strecke problemlos eine große Anzahl von Menschen dorthin transportiert werden konnte. Auch war der Ort Bełżec der SS bereits bekannt, im Jahr 1940 hatte sie dort mehrere Zwangsarbeitslager betrieben.

Einige hundert Meter von der Ortschaft Bełżec entfernt wurde das Todeslager an einem Nebengleis errichtet. Das Lager selbst befand sich auf einer Anhöhe und umfasste die relativ kleine Fläche von ca. 275 x 265 Metern. Es war von einer doppelten Reihe Stacheldraht und acht Wachtürmen umgeben. Auf der Seite der öffentlich befahrenen Bahnstrecke wurden in den Zaun Zweige geflochten, die eine Sicht auf das Lager verhindern sollten. Noch während des Lageraufbaus kam es zu den ersten Mordaktionen, bei denen anfänglich auch mobile Gaswagen eingesetzt wurden.

Nach der Fertigstellung der ersten Gaskammern wurden die Menschen mit Kohlenmonoxid aus Gasflaschen ermordet. Schnell ging man jedoch dazu über, Abgase eines Motors aus einem sowjetischen Panzer in die Kammern zu leiten. In dieser Zeit wurde die 19 grundlegende Methode für die Ermordung der jüdischen Menschen und die später für alle „Aktion Reinhardt“-Lager prägende Grundstruktur entwickelt. Ziel war es, den Menschen die Ankunft in einem Durchgangslager vorzu- täuschen, von dem aus sie in andere Arbeits- lager weitertransportiert würden. Das sollten diese Opfer bis zur Einsperrung in den als Baderäumen getarnten Gaskammern glauben. Ein weiteres wichtiges Prinzip war der schnellstmögliche Ablauf des Mordprozesses: Die Menschen sollten laufen, keine Zeit ha- ben nachzudenken oder sich umzusehen, und schließlich das tödliche Gas einatmen.

Das Lager war in zwei Bereiche unterteilt:

In Lager I kamen die Menschen an. Ein 200 Meter langes Bahngleis verlief vom Bahnhof durch das Lagertor bis zur Rampe. Anfänglich mussten sich hier die Menschen nach ihrer Ankunft unter freiem Himmel ausziehen.

Später dienten zwei Baracken (eine für Frauen und Kinder, die andere für Männer) zum Ent- kleiden der Menschen. Im Bereich des Lagers I befanden sich außerdem der Wohnbereich für die in Trawniki ausgebildeten Wachmannschaften, Verwaltungsgebäude und Baracken zur Lagerung des mitgebrachten Gepäcks. An die Rampe wurden in der Regel 15 Waggons geschoben. Kleidungsstücke und Wertsachen mussten am Entkleidungsort zurückgelassen werden. Die Menschen selbst wurden durch den sogenannten „Schlauch“, einen zwei Meter breiten Weg, der durch Stacheldraht gesichert und durch die eingeflochtenen Zweige von außen nicht einsehbar war, zu den Gaskammern in das Lager II getrieben. Im Lager II, dem eigentlichen Tötungsbereich, befanden sich die Leichengruben, in denen die Toten zunächst vergraben wurden. Lager I und II waren eben- falls durch einen mit Zweigen durchflochtenen Zaun voneinander getrennt.

Lageplan des Vernichtungslagers Belzec
Lageplan des Vernichtungslagers Bełżec

Bei der Ankunft eines Todeszugs an der Rampe bestimmten die deutschen Täter bei Bedarf einzelne Juden zur Zwangsarbeit im Lager. Ab20 August 1942 wurden etwa 500 jüdische Gefangene zur Arbeit in Belzec eingesetzt. Etwa 10 Prozent davon waren Frauen, insgesamt sollen es aber nicht mehr als 40 Frauen gewesen sein.

Die jüdischen Gefangenen wurden in Arbeitskommandos eingeteilt und mussten anfallende Arbeiten zur Aufrechterhaltung des Lagerbetriebs ausführen.

Im Lager waren nie mehr als 20 SS-Männer gleichzeitig eingesetzt. Bei der Bewachung des Lagers und der Deportierten wurde das deutsche Personal von einer Kompanie von anfänglich 60 – später 120 – sogenannten „Trawniki-Männern“ unterstützt. Bei ihnen handelte es sich in der Regel um sowjetische Kriegsgefangene, die das Angebot angenommen hatten, den mörderischen Bedingungen der Kriegsgefangenenlager zu entkommen,indem sie in den Dienst der Deutschen eintraten. Daraufhin durchliefen sie im SS-Ausbildungslager in der Ortschaft Trawniki eine Schulung und wurden anschließend unter anderem in den Vernichtungslagern als Wachmänner eingesetzt.

Am 17. März 1942 erreichten die ersten Züge mit Juden und Jüdinnen das Mordlager Bełżec. 1 Vormittags kamen sie aus Lublin und nachmittags aus Lemberg. Dieses Datum gilt als Beginn der „Aktion Reinhardt“. Etwa einen Monat später, Mitte April 1942, wurde das Morden vorerst eingestellt. Bis dahin waren bereits mehr als 75.000 Menschen in den Gaskammern getötet worden. Mitte Mai 1942 begannen die deutschen Täter das Lager zu reorganisieren und zu erweitern. Es wurden nicht nur steinerne Gaskammern errichtet,sondern man verlängerte außerdem die Rampe, erweiterte das Lagergelände und baute einige zusätzliche Gebäude, um die Kapazität des Mordapparates zu erhöhen. Im August 1942 begann die zweite und zugleich intensivste Mordphase im Todeslager Bełżec. Etwa 160.000 Jüdinnen und Juden starben allein im August in den Gaskammern von Bełżec.

Ab November 1942 wurden die Leichen der Ermordeten exhumiert und auf riesigen Rosten aus Eisenbahnschienen verbrannt. Die letzten Juden und Jüdinnen wurden am 11. Dezember 1942 von Rawa Ruska nach Bełżec verschleppt. Über 450.000 Menschen wurden hier ermordet.

Vernichtungslager Belzec
Ein Foto aus dem Vernichtungslager Bełżec. Es wurde vermutlich von einem Angehörigen der deutschen Lagermannschaft gemacht.

Nur wenigen jüdischen Gefangenen gelang es,aus dem Todeslager Bełżec zu flüchten. Vor allem in der Anfangszeit gelang es Einzelnen,im Durcheinander bei Ankunft des Zuges in Bełżec zu flüchten. Sie kehrten in ihre Heimatorte zurück und berichteten von dem Mas- senmord. Nur von drei Männern ist jedoch bekannt, dass sie das Ende der deutschen Be- satzung erlebten. Der Lemberger Seifenfabrikant Rudolf Reder und Chaim Hirszman, der aus Janów Lubelski stammte, berichteten nach dem Krieg, was sie im Lager erlebt und gese- hen hatten. 2 Israel Spira hat über seine Zeit in Bełżec nichts schriftlich hinterlassen. Den Bericht von Rudolf Reder veröffentlichte die Jüdische Historische Kommission in Krakau bereits im Jahr 1946. Es ist das einzige länger Zeugnis über das Mordlager Bełżec. 3 Die letzten jüdischen Gefangenen von Bełżec wurden Ende Juni 1943 in das Mordlager Sobibór verschleppt. Als sie auf der Rampe in Sobibór ankamen, begriffen sie, dass sie getötet werden sollten und versuchten sich dem zu widersetzen. Sie wurden auf der Rampe erschossen. Bevor die deutschen Täter das Mordlager Bełżec räumten, beseitigten sie die Spuren des Massenmords – nichts sollte auf das hier Geschehene hinweisen: Die Gebäude wurden demontiert, die Erde umgepflügt, Bäume gepflanzt und ein Bauernhof auf dem Gelände errichtet.

Nach dem Abzug der Deutschen blieb das Areal der ehemaligen Mordstätte ein offenes,ungeschütztes Gelände und wurde zum El Dorado für Grabräuber. Auf der Suche nach Wertgegenständen von den Ermordeten durchwühlten sie die Erde und öffneten Massengräber. In der Lubliner Zeitung Sztandar Ludu war am 25. September 1956 zu lesen:

„Das Gelände des Lagers in Bełżec sollte schon seit Langem umzäunt werden … doch nichts ist geschehen. Die Bahnrampe (auf dem Lager- gelände), auf der die Transporte mit den Menschen angekommen waren, wird von den Regionalen Staatlichen Forstbetrieben in Tomaszów genutzt. Auf dem Platz liegen Steine, menschliche Knochen, Schädel herum …“ 4

Ende der 1940er Jahre wurde zwar eine Krypta gebaut, in der an der Oberfläche liegenden Knochen gesammelt wurden, ein Gedenken gab es jedoch nicht und das Gelände mit den Massengräbern blieb ungeschützt. Erst am 1. Dezember 1963 wurde eine Gedenkstätte eröffnet. Diese jedoch verschwieg anfangs, dass an diesem Ort nahezu ausschließlich Jüdinnen und Juden ermordet worden waren. Der Text auf der Gedenktafel erinnerte nicht einmal daran, dass sich in Bełżec ein Mordlager befunden hatte. Geschrieben stand lediglich: In Gedenken an die Opfer des nationalsozialistischen Terrors, die in den Jahren 1941-1943 ermordet wurden. Erst Anfang der 1980er Jahre ließen die polnischen Behörden eine weitere Tafel anbringen auf der vermerkt war, dass im Lager 600.000 jüdische und 1.500 polnische Menschen, die Juden und Jüdinnen geholfen hatten, ermordet worden waren.

1993 kam es zu einer Vereinbarung zwischen dem polnischen Staat, dem Holocaust Memorial Museum in Washington und dem American Jewish Comittee, ein neues Mahnmal zu errichten. Die Initiative dazu ging maßgeblich von Miles Lerman aus, einem der Gründer des Holocaust Memorial Museums in Washington, der seine gesamte Familie in Bełżec verloren hatte. Miles Lerman hatte als Erster damit begonnen, sich für die Erinnerung an die Massenmorde in Bełżec einzusetzen und Geld für die Gedenkstätte zu sammeln. Als Abteilung des staatlichen Museums Majda- nek wurde schließlich im Jahr 2004 die neue Gedenkstätte in Bełżec eröffnet. Ausgehend davon, dass das gesamte Gelände ein riesiger jüdischer Friedhof ist, bildet ihr Zentrum ein mit Schlackesteinen bedeckter Hügel, mit dem die Massengräber geschützt werden. Durch die Massengräber hindurch führt ein mit Pflastersteinen gedeckter Pfad in den Hügel hinein, zu einem Ort des Gedenkens. „Earth do not cover my blood; Let there be no resting place for my outcry. (Job 16,18)“, steht dort auf Polnisch, Englisch und Hebräisch auf einer großen Wand geschrieben. Gegenüber sind symbolisch Vornamen der Ermordeten in den Stein gemeißelt. Das gesamte Areal ist von den Namen der Orte, aus denen die Menschen in das Vernichtungslager deportiert wurden gerahmt. Eine symbolische Rampe erinnert an die ankommenden Deportationszüge. In einem Museumsgebäude zeichnet eine ständige Ausstellung die Geschichte des ehemaligen Mordlagers Bełżec nach.

In Deutschland musste sich nach dem Krieg nur ein Angehöriger der deutschen Lagermannschaft von Bełżec vor Gericht verantworten. Josef Oberhauser wurde nach einer viertägigen Hauptverhandlung am 21. Januar 1965 zu vier Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. In der Sowjetunion fanden in den 1960er Jahren mehrere Prozesse gegen in Bełżec eingesetzte Trawniki-Männer statt, von denen einige zum Tode verurteilt wurden.

1 Es ist nicht ausgeschlossen, das bereits vor dem 17. März 1942 Jüdinnen und Juden aus Lemberg in Bełżec getötet wurden.

2 Bericht Chaim und Pola Hirszman, v. 19.3.1946, AŻIH, 301/1476; Berichte Rudolf Reder, 1945, AŻIH, 301/594, 301/4734.

3 Reder, Rudolf, Bełżec, Kraków 1946. Deutsche Übersetzung: Bericht über Bełżec, in: Wolfgang Benz/Barbara Distel/ Angelika Königseder (Hrsg.), Nationalsozialistische Zwangslager. Strukturen und Regionen – Täter und Opfer, Berlin/Dachau 2011, S. 351–373.

4 Miejscu kaźni milionów ludzi winniśmy cześć i otaczać największą opieką, „Sztandar Ludu”, 25 IX 1956 r.

5 Vgl. Friedrich Schmidt: Der falsche Iwan. Die verwickelte Geschichte John Demjanjuks. In: FAZ, 12. Mai 2009, S. 3; Peter Black, Foot Soldiers of the Final Solution: The Trawniki Training Camp and Operation Reinhard. In: Holocaust and Genocide Studies 25/1, S. 1-99.

Artikel aus: Der Lokomotivschuppen in Bełżec, Hrsg. Bildungswerk Stanisław Hantz, Kassel 2022.

Buchvorstellung: „Schürfplätze – Grabraub in Bełżec und Sobibór”, 15.4.2024

Mehrere Jahre hat der polnische Journalist Paweł Piotr Reszka recherchiert, um mehr über die Grabräuber in Bełżec und Sobibór zu erfahren. Er hat Ermittlungsakten aus Strafprozessen gelesen, hat mit Historikern und Archäologen gesprochen und schließlich auch Interviews mit früheren Grabräuber*innen, ihren Angehörigen und Nachbar*innen geführt. Das Ergebnis seiner Recherchen veröffentlichte Reszka 2019 in Polen. Sein Buch „Pluczki“ wurde 2022 in deutscher Sprache veröffentlicht.

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Lesung aus dem Bericht „Bełżec“

Bis zum heutigen Tag sind nur drei Männer bekannt, denen die Flucht aus der Mordstätte Belzec gelang und die das Kriegsende erlebten: Chaim Hirszman, Israel Spira und Rudolf Reder. Bereits 1946 veröffentlichte die Zentrale Jüdische Historische Kommission in Krakau den Bericht „Bełżec“ von Rudolf Reder über die Monate, die er dort verbringen musste. Es gibt viele Beschreibungen über das Todeslager aus der Sicht der deutschen Täter, der Trawniki-Wachmänner und natürlich von Anwohner*innen aus Bełżec. Der Bericht von Rudolf Reder ist die einzige ausführliche Information eines Juden, der die Mordstätte Belzec überlebt hatte.

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“Schürfplätze – Grabraub in Bełżec und Sobibór”

Schürfplätze. Grabraub in Belzec und Sobibor

Buchvorstellung mit dem Autor Paweł Piotr Reszka.
Das Bildungswerk Stanisław Hantz hat in Kooperation mit dem Erinnerungsort Alter Schlachthof und der NS-Dokumentationsstelle Krefeld – Villa Merländer den Autor Paweł Piotr Reszka zu der Buchvorstellung eingeladen. Die Veranstaltung findet in polnischer Sprache statt und wird von dem Historiker Rafael R. Leissa übersetzt.

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Der Lokomotivschuppen in Bełżec

Der Lokomotivschuppen in Belzec

Reihe „Texte zur Aktion Reinhardt“.

Ein ehemaliger Lokomotivschuppen in unmittelbarer Nähe der Mordstätte Bełżec wurde von den deutschen Tätern als Kleidungslager genutzt. Dort mussten jüdische Gefangene die Kleidung der Ermordeten sortieren und bündeln, bevor sie verschickt wurde.

Am 31. August 1942 fuhr der Wehrmachts-Unteroffizier Wilhelm Cornides mit einem öffentlichen Personenzug von Rawa Ruska nach Chełm: „Wir sind am Lager Bełżec vorbeigefahren […] Ein doppeltes Bahngleis führte in das Lager hinein. Das eine Gleis war eine Abzweigung von der Hauptstrecke, das andere führte über eine Drehscheibe aus dem Lager zu einer Reihe von Schuppen, die ungefähr 250 Meter davon standen. Auf der Drehscheibe stand gerade ein Güterwagen. Mehrere Juden waren damit beschäftigt, die Scheibe zu drehen. SS-Posten, das Gewehr unter dem Arm, standen daneben. Einer der Schuppen war offen, man konnte deutlich sehen, dass er mit Kleiderbündeln bis an die Decke gefüllt war.“

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Ehemalige Kommandantur des Vernichtungslagers Bełżec der Öffentlichkeit übergeben

Kommandantur Belzec

Am 24. Juni 2021 wurde die grundrenovierte „Kommandantur“ in Bełżec der Öffentlichkeit vorgestellt. Zukünftig wird das Haus von der Gedenkstätte Bełżec für die Forschungs- und Bildungsarbeit genutzt werden, dazu wurde u.a. ein Seminar- sowie ein Arbeitsraum für die Arbeit mit Archivmaterial eingerichtet.

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