Wehrmacht, Schutzpolizei und SS riegeln am 12. August 1940 die Warschauer Marschalkowskastraße ab und nehmen alle jungen polnischen Männer mit. Darunter auch den 17-jährigen Stanisław Hantz. Drei Tage später werden alle, ohne Angaben von Gründen oder einer Anklage, mit dem Warschauer Transport in das damals noch unbekannte Konzentrationslager Auschwitz gebracht.
Am 15. August 1940 treiben die SS-Leute Stanisław Hantz in das Stammlager. Zum ersten Mal ging er durch das Tor mit der Aufschrift “Arbeit macht frei”.
35 Monate Haft liegen vor ihm. Als Jugendlicher erlebt und überlebt er fast die gesamte Geschichte des Konzentrationslagers Auschwitz, vom Ausbau der ehemaligen Kasernen im Stammlager über die Errichtung des großen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz II – in Birkenau, bis hin zu den Evakuierungsmärschen gen Westen.
In dieser Zeit übersteht er auch eine 53 Tage dauernde Bunkerhaft im Todesblock. Einen großen Teil seiner Haftzeit arbeitet er beim Zimmerei-Kommando der SS, das die einzelnen Lagerabschnitte auf- und ausbaut. Bei der Errichtung neuer Baracken Anfang 1943 im Lagerabschnitt “Mexiko” in Auschwitz-Birkenau wird er heimlicher Augenzeuge einer der ersten Massentötungen in einer damals noch provisorischen Vergasungsanlage, dem “Roten Haus”. Als im November 1944 die Front und damit die Rote Armee näher rückt, verlegt die SS das Zimmerei-Kommando nach Groß Rosen, später nach Hersbruck bei Nürnberg, um auch dort Baracken für die ebenfalls westwärts getriebenen Häftlinge zu errichten. Schließlich wird er mit seinem Kommando zu Fuß auf den Todesmarsch ins Konzentrationslager Dachau geschickt. Er erreicht es am 24. April 1945. Fünf Tage später befreit die amerikanische Rainbow Division das Lager.
Nach kurzer Erholungsphase kehrt Stanisław Hantz nach Polen ins zerstörte Warschau zurück. Aber da kennt er niemanden mehr. Vater, Mutter und Geschwister sind alle längst tot. “Wo sollte ich hin?”, fragt er rhetorisch. “Na, da bin ich wieder zurück nach Auschwitz, da kannte ich mich aus, da war ich nicht länger allein.” Dort angekommen, beteiligt er sich am Aufbau des Museums. In der Stadt Oswiecim besucht er das Gymnasium und holt sein Abitur nach. Knapp zehn Jahre nach seiner Ankunft im Lager Auschwitz verlässt er die Stadt und arbeitet in verschiedenen Grubenbetrieben in Gruben. Zuletzt als Personalchef des Grossbetriebs Turow bei Zgorzelec.
Als er 1982 pensioniert wird, gründet er die Zgorzelecer Vereinigung ehemaliger KZ-Häftlinge und beschäftigt sich nach langer Zeit wieder mit seiner Vergangenheit. In der Schule seiner beiden Töchter berichtet er öffentlich von seinen Erlebnissen. Für Stanisław Hantz’ Tochter Krystina ist der erste deutsche Satz, den sie kennt: “Arbeit macht frei”. Mehr als 60 Jahre nach seiner Haft im KZ Auschwitz beantwortet Stanisław Hantz die Frage, ob es je Tage gegeben hat, an denen er nicht an Auschwitz denken musste, mit: “Vielleicht nicht”. Auschwitz lässt ihn nicht mehr los. Es regt ihn auf, aber es spornt ihn auch an. Er will, ja er muss erzählen.
In den 70er Jahren fährt er auf Einladung das erste Mal nach Deutschland. Später folgen weitere Besuche. Durch Zufall lernen ihn Mitglieder des heutigen Bildungswerkes Anfang der 90er Jahre kennen und eine Freundschaft entsteht. Seit 1997 fährt er regelmäßig mit Gruppen des nach ihm benannten Bildungswerk Stanisław Hantz e.V. nach Auschwitz. Und berichtet, wie, was gewesen ist – so, als wäre gestern heute. Wie er Essen oder Nachrichten geschmuggelt hat im Lager. Wie das war mit dem Verrat, der Folter und dem Sadismus der SS-Männer. Wie ihn der SS-Hauptscharführer Otto Moll zwang, Kompostabfälle und einen Frosch zu essen. “Zu den Vitaminen”, hat der Moll geschrien, “bekommst du noch ein bisschen Fleisch”, ahmt Stanisław Hantz den SS-Mann nach und verzieht den Mund zu einer Fratze. “Was sollte ich machen, stand der SS-Mann da mit seiner Pistole, da habe ich den lebendigen Frosch gefressen!” Schließlich muss er noch einen Topf mit Terpentin austrinken. Er weiss nicht wie, aber auch das hat er überlebt.
Am liebsten sind ihm aber Geschichten über Kameradschaft und Freundschaft im Lager. Oder die Geschichte mit dem Hund, den sie geschlachtet und gebraten haben, und den dann später ein SS-Mann als falschen Hasen gegessen hat. Trotzdem ist es für ihn nicht leicht: “Wenn ich in Auschwitz bin, dann bin ich kein Besucher, sondern fühle ich mich wieder wie ein Häftling”. Seine Frau, seine Kinder und Enkelkinder haben deshalb immer ein bisschen Angst um den 80-Jährigen, wenn er wieder mal auf Tour ist.
Stanisław Hantz verstarb am 17. Juli 2008.
Die Ausstellung “Stanisław Hantz – Häftling 2049” kann hier herunterladen werden: