Anna Kaczmarska
Als sie aus Deutschland zurück kam, erzählte sie es der Familie, Nachbarn, Nachbarinnen, allen, die es hören und wissen wollten. Zuhause, auf der Straße, dem Marktplatz. Damals war Anna Kaczmarska knapp zwanzig Jahre alt. Zwei Jahre zuvor war sie nach Auschwitz verschleppt worden. Zufällig und willkürlich. Sie war eine von vielen PolInnen, die die Deutschen auf dem Bahnhof in Krakau bei einer Razzia verhaftet und nach Auschwitz deportiert hatten.
Heute erinnert sich Anna Kaczmarska nur noch bruchstückhaft an ihre Zeit in Auschwitz. An ihre Anfangszeit im Frauenlager Birkenau, wo sie an einem Geschwür erkrankte; in sicherer Erwartung ihres Todes, der in Auschwitz auf Vieles und eben auch auf Krankheit stand. Nur ein zufälliger Sturz aus der Schlafkoje, der das Geschwür platzen ließ, ermöglichte ihre Genesung. Bis heute für sie ein zentraler Punkt, um ihr Überleben von Auschwitz zu erklären. Ihre zweite Erklärung: Die Gewöhnung an harte Arbeit von Kindheit an. Denn in Auschwitz arbeitete Anna Kaczmarska im Abrisskommando. Schwere Holzbalken mussten die Frauen als Rammböcke benutzen, um Häuserwände einzureißen.
Auch Dr. Josef Mengele, der vermutlich berüchtigste der in Auschwitz tätigen Ärzte, ist Anna Kaczmarska noch deutlich in Erinnerung. Jeden Tag kam er in das so genannte Zigeunerlager in Birkenau, wo er seine Menschenversuche durchführte und kontrollierte. Anna Kaczmarska begegnete ihm öfters, nachdem sie sich freiwillig zur Arbeit in diesem Lagerabschnitt gemeldet hatte. Sie arbeitete dort als Pflegerin im Krankenbau und hatte überwiegend mit Kindern zu tun. Eine ihrer Aufgaben bestand darin, die Toten aus dem Block zu schleppen. Für einige wenige Tage kam sie noch einmal ins Frauenlager von Birkenau. Das war nach der Liquidierung des ,Zigeunerlagers' im August 1944. Nachdem man in einer Nacht etwa 2800 Menschen in den Gaskammern ermordet hatte.
Für Anna Kaczmarska folgte nun eine monatelange Irrfahrt durch Westeuropa. Parallel zum Kriegsverlauf und dem vermehrten Einsatz von Häftlingen in der deutschen Rüstungsindustrie wurde sie im August 1944 für zwei Wochen zur Arbeit in einer Munitionsfabrik in die Nähe von Paris verlegt. Danach ging es zurück in Richtung Osten. Im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück verbrachte sie etwa drei Monate. Auf Feldern und unter offenem Himmel musste sie damals hausen. Schliesslich wurde sie zur Demontage von Flugzeugteilen nach Berlin gebracht. Bis sich die Front soweit genähert hatte, dass die Gefahr ihrer Befreiung den Nationalsozialisten zu groß wurde. Man schickte sie auf ,Todesmarsch'. Auf diesem Marsch schließlich befreite sie die Rote Armee. Endlich konnte sie, damals 20-jährig, zurück nach Hause.
Als Zeugin reiste sie mehrfach zu Gerichtsprozessen gegen SS-Täter nach Deutschland. Den Ort ihrer Hafterinnerungen aber suchte sie erst in den 1980er Jahren wieder auf, anlässlich des Papstbesuches in der Gedenkstätte Auschwitz.
Heute lebt Anna Kaczmarska zusammen mit ihrem Sohn und dessen Familie im Zentrum von Krakau. Zwei Häuser weiter befindet sich der ,Krakauer Club der ehemaligen Konzentrationslager-Häftlinge', den sie mittlerweile regelmäßig besucht.