Janina Janczyk
Gerade einmal fünfzehn Jahre war Janina Janczyk, als die deutschen Besatzer sie in dem kleinen polnischen Ort Debrowa Gornicza bei einer Razzia verhafteten. Nach einem kurzen Gefängnisaufenthalt in Sosnowiec kam sie ins Frauenlager von Auschwitz-Birkenau. Das war im Winter 1943. Das Frauenlager befand sich zu der Zeit noch im Aufbau. Die sanitären Einrichtungen reichten bei weitem nicht, Wasser gab es zu diesem Zeitpunkt für 12.000 Frauen aus einem einzigen Wasserhahn.
Noch heute ist Janina Janczyk entsetzt darüber, dass in der Gedenkstätte kommentarlos Latrinen und Waschräume zu sehen sind, die während ihrer Zeit im Lager niemals funktionierten. Für sie gab es einen Balken, auf den sich die Frauen hocken mussten. Sie erinnert sich an Frauen, die rückwärts in die Grube fielen und ertranken. Die saubere Lagerstrasse, die heute im Museum Auschwitz-Birkenau zu sehen ist, lässt sie an qualvolle Appelle denken, eine im Frauenlager oft eingesetzte Folter. Tausende von Frauen, die dort standen, in Eiseskälte, gezwungen still zu stehen und verzweifelt darauf wartend, endlich in die Unterkünfte entlassen zu werden. Während ihnen der Durchfall die Beine herunterfloss.
Die Steinbaracken, die das Museum konserviert und restauriert hat, und für die BesucherInnen offen stehen, weckt in Janina Janczyk die Erinnerung daran, wie sie zu ebener Erde direkt auf dem kalten Boden schlafen musste. Erst nachdem sie Mithäftlingen gegenüber mit Selbstmord gedroht hatte, waren diese bereit, sie in einer weiter oben gelegenen und damit weniger kalten und von Ratten heimgesuchten Pritsche schlafen zu lassen.
Die Arbeiten, zu denen Janina Janczyk gezwungen wurde, waren körperlich extrem schwer. So musste sie Fischteiche reinigen und Schützengräben ausheben. Zeitweilig war sie gezwungen, die Asche der in den Krematorien von Birkenau Verbrannten auf den umliegenden Feldern zu verteilen. Immer wieder weist sie darauf hin, dass selbst der ehemalige Lagerkommandant Höss in seinen Erinnerungen schrieb, im Frauenlager Birkenau hätten bei Weitem die schlimmsten Zustände geherrscht.
Im Sommer 1944 wird Janina Janczyk nach Ravensbrück verlegt, um in einer Fallschirmfabrik zu arbeiten. Von da aus geht es weiter ins KZ Sachsenhausen. Tagsüber muss sie in einer Munitionsfabrik arbeiten. Nach 27 Monaten Konzentrationslagerhaft wird sie schliesslich im März 1945 auf dem ,Todesmarsch' der KZ-Häftlinge von der US Armee befreit. Als sie ihrer Mutter das erste Mal wieder begegnet, erkennt diese sie nicht wieder. Abgemagert wie sie ist.
Nach ihrer Heirat 1948 arbeitet Janina Janczyk als Technikerin in einer Aluminiumhütte in der Nähe von Krakau, sie bekommt zwei Kinder. Und ist mit dem Überleben beschäftigt. In ihren Träumen flieht sie vor einem SS-Mann. Dennoch schwieg Janina Janczyk konsequent über ihre Zeit in Auschwitz. Vor Bekannten, Freunden und Freundinnen, ehemaligen Häftlingen, vor der Familie. Sie will niemanden mit diesen Erinnerungen belasten. Sie will auch sich selbst nicht belasten. Und kann nicht darüber reden. Ehemann und Kinder fahren allein in die Gedenkstätte Birkenau. Heute bedauert die Witwe, dass sie ihrem Mann niemals von ihren Erinnerungen an Birkenau erzählt hat.
Seit fünf Jahren ist Janina Janczyk bereit, in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau über ihre leidvollen Erlebnisse und Erinnerungen zu erzählen. Sie muss das tun, meint sie. Denn die Gedenkstätte kann nicht vermitteln, wie es wirklich war. Und eine offizielle Führung kann nicht die Erfahrungen der Häftlinge wiedergeben.